Natacha Valla plädiert für gemeinsame Eurozoneninvestitionen.

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STANDARD: Für Griechenland gibt es vorerst eine Lösung, aber viele sehen die Eurozone noch lange nicht in ruhigerem Fahrwasser. Wo steht die Währungsunion derzeit?

Valla: Es bedarf viel guten Willens, um optimistisch zu sein. Die Verhandlungen mit Griechenland waren für die Eurozone ein echter Umbruch. Allein dass das Wort Grexit von offizieller Seite in den Mund genommen wurde, war ein Tabubruch. Der Fall Griechenland legte einen institutionellen Fehler in der Konstruktion der Währungsunion offen. Nun müssen fundamentale Veränderungen vorgenommen werden.

STANDARD: Was genau?

Valla: Es gibt wirtschaftliche und politische bzw. demokratiepolitische Herausforderungen. Politisch muss die Entscheidungsfindung geändert werden. Die Dominanz der intergouvernementalen Beschlüsse sollte bald der Vergangenheit angehören. Die endlosen Verhandlungen der Eurogruppe in Sachen Griechenland haben gezeigt, dass es hier weitreichender Veränderungen bedarf.

STANDARD: In Form einer Stärkung der EU-Kommission?

Valla: Wir brauchen neue und tiefere Institutionen mit einer Regierung, einem Parlament und einem eigenen Budget für die Eurozone. Es könnte beispielsweise eine Abgabe wie die Körperschaftsteuer für die Finanzierung gemeinsamer Ausgaben herangezogen werden. Zudem sollte die Währungsunion Schulden aufnehmen können. Es gibt viele Anzeichen, dass die Regierungen zusehends bereit sind, Teile ihrer Souveränität aufzugeben.

STANDARD: Sind derartige Vorhaben in Staaten wie Deutschland konsensfähig?

Valla: Damit Deutschland einer Fiskalunion zustimmt, müssen starke Zusicherungen in der Frage der Budgetdisziplin gemacht werden. Das ist nicht unmöglich. Was mich optimistisch macht, ist die Fülle an Statements von Politikern wie Deutschlands Vizekanzler Gabriel, Italiens Finanzminister Padoan oder Frankreichs Wirtschaftsminister Macron. Es gibt grenzüberschreitende und parteiübergreifende Botschaften, die in die richtige Richtung gehen.

STANDARD: Sie glauben wirklich, Kanzlerin Angela Merkel würde in eine Transferunion einsteigen?

Valla: Transfers müssten als grenzüberschreitende Finanzierungen gemeinsamer Projekte und Investitionen verkauft werden, wissend, dass die Mittel nicht zurückfließen. Aber die Vorteile in Form von mehr Wachstum und Jobs würden diesen Trick rechtfertigen. Es ist ja auch bei Griechenland eine Lüge, dass die Mittel zurückbezahlt werden.

STANDARD: Welche Ausgaben sollen von den Euroländern auf die Eurozone übergehen?

Valla: Ich denke, da sollte man vorsichtig vorgehen. Ich halte beispielsweise die Idee, Arbeitslosengelder über ein gemeinsames Eurobudget auszubezahlen, nicht für gut. Das würde keine positiven Anreize bringen und wäre für Deutschland auch nicht akzeptabel. Bei Investitionen macht ein zentrales Vorgehen hingegen Sinn. Ich denke an klassische Infrastrukturbauten, aber auch an immaterielle Investitionen wie in Bildung oder Innovation. Konkret könnten Schulsystem und Berufsausbildung zentral von der Eurozone finanziert werden. Niedrige Zinsen bieten ein sehr gutes Umfeld für die Finanzierung dieser Ausgaben. Wir haben nicht mehr viel Zeit, das muss jetzt passieren. Gemeinsam mit dem Juncker-Investitionsplan und den EZB-Maßnahmen wäre das ein guter Mix.

STANDARD: Wie sehen Sie den Reformprozess in Frankreich?

Valla: Reformen sind in Frankreich ein sehr schmerzvoller Prozess. Was in Deutschland zu Recht kritisch gesehen wird, sind fehlende Reformen am Arbeitsmarkt. Jetzt gibt es aber immerhin eine Diskussion darüber. Auch zur Stabilisierung des Staatshaushalts sind noch große Anstrengungen notwendig. Überhaupt fehlt der Mut, die Qualität der öffentlichen Ausgaben zu hinterfragen. (Andreas Schnauder, 4.9.2015)