Wien – Vom "Guardian" über "Zeit Online" bis zu den Boulevardblättern "Bild" und "Sun": Viele Medien haben das Foto eines toten Kindes gezeigt, das am Strand in der Nähe des türkischen Ferienorts Bodrum angespült wurde. Andere wie DER STANDARD und die "Süddeutsche" verzichteten auf diese Aufnahmen, in denen sich das gesamte Flüchtlingselend manifestiert.

Die Katastrophe hat jetzt auch einen Namen bekommen: Aylan, drei Jahre alt, geflohen aus dem syrischen Kobane, ertrunken im Mittelmeer, angespült an einem Strand in der Türkei. Einer von vielen, die ihr Leben auf der Flucht lassen. Das Foto hat weltweit Entsetzen ausgelöst. Ob es in Medien auch gezeigt werden soll, darüber besteht keine Einigkeit – weder bei Chefredakteuren noch bei Lesern.

Eine Mitteilung beim Presserat

Ein Leser hat sich beispielsweise an den österreichischen Presserat gewandt, um sich über "Kurier Online" zu beschweren. Das Medium hat ein Foto aus der Serie – nämlich jenes mit dem Polizisten, der das Kind in den Armen hält, veröffentlicht. Zu sehen sind nur die Beine des Kindes. Befassen wird sich der Presserat mit der Causa am 15. September. Dann wird entschieden, ob ein medienethisches Verfahren eingeleitet wird.

Strenge Kriterien bei Kindern

Grundsätzlich gelten bei Kindern strengere Kriterien, erklärt Alexander Warzilek, Geschäftsführer des Presserats, dem STANDARD. Im konkreten Fall ist der Name des Vaters bekannt. Man hätte ihn zum Beispiel fragen können, ob er mit der Veröffentlichung einverstanden sei. Laut Nachrichtenagentur Reuters hat sich Aylans Vater noch am Donnerstag zu Wort gemeldet und gesagt, dass die gesamte Welt dieses Elend sehen solle: "Damit es nie mehr passiert."

Quellentransparenz als Kriterium

Im Unterschied zum Foto, das die "Kronen Zeitung" vorige Woche von den toten Flüchtlingen in einem Lkw veröffentlicht hatte, ist bei dem Aylan-Foto die Quelle transparent. Die Bilder hat die türkische Fotografin Nilüfer Demir von der Nachrichtenagentur DHA gemacht. Auch das sei ein Kriterium, wie das Foto aus medienethischer Sicht zu bewerten sei, sagt Warzilek. Und ob Aufnahmen verpixelt oder nicht verpixelt gezeigt werden.

Das Foto mit den toten Flüchtlingen im Lkw dürfte der "Krone" von der Polizei zugespielt worden sein. Die Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen eingeleitet. Diese Aufnahme, die später auch in der "Bild"-Zeitung aufgetaucht ist, hat beim Presserat zu einer Rekordzahl an Beschwerden (rund 180) geführt. Ein medienethisches Verfahren wurde eingeleitet.

"Scheinheilige Rechtfertigungsversuche" der "Krone"

Einen Unterschied zwischen den beiden Fotos konstatiert auch Petra Bernhardt, Politikwissenschafterin an der Universität Wien mit dem Schwerpunkt visuelle Kommunikation. Zum STANDARD sagte sie am Donnerstag: "Beim 'Krone'-Foto sind sich Medienethiker einig, dass es sich um einen klaren Ethikverstoß handelt", sagt sie. Und: "Die Toten wurden in voyeuristischer Weise zur Schau ausgestellt. Die Rechtfertigungsversuche der 'Krone', man wolle mit dem Bild aufrütteln, gehen angesichts der bisherigen Berichterstattungspraxis zum Thema Flucht und Vertreibung ins Leere und können als scheinheilig betrachtet werden." (omark, 4.9.2015)