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Unrühmliches Ende einer schillernden Militär- und Politikerkarriere: Otto Pérez Molina verlor zuerst seine politische Immunität, dann erfolgten ein Ausreiseverbot und ein Haftbefehl. Zwischenzeitlich als Staatspräsident zurückgetreten, wurde er von der Polizei abgeführt.

Foto: AP / Luis Soto

Guatemala-Stadt/Puebla – Was macht eine Demokratie mit einer Wahl, die im Vorhinein diskreditiert ist? Vor diesem Dilemma steht am Sonntag Guatemala, wo inmitten eines Korruptionsskandals und einer schweren Staatskrise ein neuer Präsident gewählt werden soll.

Die Guatemalteken, die seit vergangenem April zu Hunderttausenden demonstrieren und bereits den Präsidenten und die Vizepräsidentin zum Rücktritt zwangen, wollen den Augiasstall definitiv ausmisten. Doch ihr Problem: Keiner der Favoriten – weder der Komiker Jimmy Morales noch die ehemalige Präsidentengattin Sandra Torres und auch nicht der zwielichtige Unternehmer Manuel Baldizón – scheint dieser Aufgabe gewachsen zu sein. Umfragen wie jene des "Mirador Electoral" sagen einen Rekord an Enthaltungen und ungültigen Stimmen voraus, während am Wahltag erneut Proteste geplant sind, um die Wahlen annullieren zu lassen.

"Ich fühle mich schlecht"

"Ich fühle mich schlecht, das ist hart", sagte Präsident Otto Pérez Molina, als er am Donnerstag (Ortszeit), wenige Stunden nach seinem Rücktritt, dem Haftrichter vorgeführt und wegen Korruption ins Gefängnis geschickt wurde.

Der "Kampf zwischen der Mafia und den Bürgerbewegungen", wie der Konfliktforscher Joaquín Villalobos die Krise nennt, begann im April mit einer Enthüllung der UN-Kommission gegen Straffreiheit (CICIG), die seit 2007 im Land ist und die grassierende Korruption und Straffreiheit bekämpfen soll.

Korruptionsnetzwerk

Sie enthüllte ein gut geschmiertes Korruptionsnetzwerk im Zollwesen, das offenbar von Pérez und seiner ebenfalls inhaftierten Vizepräsidentin Roxana Baldetti gesteuert wurde. Firmen wurde gegen ein Schmiergeld der Importzoll erlassen oder gesenkt.

Noch andere haarsträubende Dinge entdeckte die CICIG: Dass der Wahlkampf zur Hälfte aus illegal abgezweigten Steuergeldern finanziert wird und zu je einem Viertel aus Drogengeldern und Spenden von Firmen, die Regierungsaufträge erhalten. "Welche Legitimität hat solch eine Wahl?" fragt der Soziologe Bernardo Arévalo, der der Intellektuellengruppe Semilla angehört, die an einer Staatsreform arbeitet.

Lange Reformliste

Eine Reform der Parteien, eine der Wahlkampffinanzierung, mehr partizipative Kontrollmechanismen, ein Berufsbeamtentum und ein nicht politisiertes Ernennungsverfahren für Richter stehen auf Arévalos Liste. "Erst dann können auf einer neuen Basis eine legitime Regierung und ein legitimer Kongress gewählt werden", sagt er. Dem stimmt der in Guatemala lebende deutsche Anwalt Manuel Mörth, zu. "Pérez war nur die Spitze des Eisbergs, und die Kloake ist noch längst nicht gesäubert."

Der Korruptionsskandal brachte ans Licht, dass der Aufbau einer Demokratie – das vorrangige Ziel des Friedensvertrags von 1996 nach einem blutigen, 36 Jahre dauernden Bürgerkrieg – gescheitert ist. Guatemala blieb ein Beutestaat, in dem sich eine kleine Elite aus Unternehmern, Politikern und Militärs auf Kosten der Mehrheit schamlos bereicherte.

28 Amtsperioden

Parteien blieben Hüllen, auf einen "Caudillo" (Führer) zugeschnitten. Keine einzige Partei war seit der Rückkehr der Demokratie länger als eine Amtsperiode an der Macht; bisher gab es 28 davon.

Bis im Jänner 2016 die neue Regierung antritt – sofern am Wahlkalender festgehalten wird -, muss der am Donnerstag vom Kongress ernannte Interimspräsident Alejandro Maldonado das Schiff durch unruhige Gewässer steuern. Der 79-jährige Jurist versprach einen Reformdialog mit den "gesellschaftlich relevanten" Kräften, ist jedoch ein erzkonservativer Vertreter der alten Elite und deshalb für viele unglaubwürdig. Sein Regierungsteam steht noch aus. "Ob die Krise jetzt abflaut oder sich noch zuspitzt, ist derzeit völlig unklar", so Villalobos. (Sandra Weiss, 5.9.2015)