Donna Johnson hilft illegalen Migranten, deren Brunnen versiegt sind.

Frank Herrmann

Sie bekommen von der Stadtverwaltung in East Porterville keine Wassertanks und kein Trinkwasser zugeteilt.

Frank Herrmann

Geoff Galloway blickt über lange Reihen dreijähriger Mandarinenbäume und schwärmt vom Paradies. Nirgends sei das Klima besser, der Boden fruchtbarer als hier, im Süden des Central Valley, im San Joaquin Valley, dem John Steinbeck in Früchte des Zorns ein literarisches Denkmal setzte.

"Richtigen Frost haben wir höchstens einmal in sieben Jahren", sagt Galloway (39) schnittige Sonnenbrille, und erzählt, wie er voller Hoffnung ins "ag business" einstieg. Ins Agrargeschäft, das in dem breiten, tischebenen Tal lange Zeit blühte wie sonst nirgendwo. 2003 erwarb er mit seiner Frau Sabra eine Farm in der Nähe der Stadt East Porterville. Als sie 2012 das erste Dürrejahr hinter sich hatten, sprach noch keiner von einem Desaster. Trockenperioden hat es immer gegeben, aber dass eine vier Jahre andauert, hat das moderne Kalifornien noch nicht erlebt.

"Wer kauft eine Farm ohne Wasser?"

Galloway jedenfalls steht kurz vor dem Ruin. Dutzende Orangenbäume hat er bereits aus der Erde gerissen, sie bilden einen traurigen welken Haufen am Weg. Das knappe Wasser, für das er achtmal so viel berappen muss wie vor der Dürre, soll den Mandarinen zukommen, weil sie mehr einbringen als Orangen. Zwölf magere Monate stehe er finanziell vielleicht noch durch. Wenn sich dann nichts zum Besseren wende, gebe er auf. "Aber wer kauft eine Farm ohne Wasser?"

Manche in East Porterville haben nicht einmal Trinkwasser. Neben einer Baracke mit blätternder blassblauer Farbe, in der Juana Garcia mit ihren fünf Kindern lebt, ragt ein rostiges Rohr aus der staubigen Erde. Es endete einmal in einem Tank, den aber hat Juana Garcia verhökert. Die Grundwasserschicht, bis zu der das Rohr führt, fünf Meter tief, ist seit zwei Jahren leergepumpt. Ein Bohrtrupp müsste anrücken, dreißig Meter unter der Erde müsste es Wasser geben, aber von den zwanzigtausend Dollar, die so ein Trupp verlangt, kann Juana Garcia nur träumen. Ihr Mann, ein Obstpflücker, wie sie in den 1980er-Jahren aus der mexikanischen Provinz Michoacán eingewandert, hat sich aus dem Staub gemacht. Da sie an Lupus leidet, einer tückischen Immunschwächekrankheit, kann sie keiner Arbeit nachgehen, selbst wenn sich jemand fände, der den Nachwuchs betreut: Christopher, ihr Jüngster, ist fünf. Nur der älteste Sohn, 19 Jahre alt, Verkäufer in einem Supermarkt, verdient eigenes Geld.

Illegal in der River Road

Zu allem Überfluss führen zwei ihrer acht Geschwister einen erbitterten Streit um das Haus. Die Mutter, erzählt Juana, habe es ihr vermacht, aber kein Testament hinterlassen. Es gibt keinen Erbschein, keinen Eintrag im Grundbuch, nichts, womit die Tochter nachweisen könnte, dass ihr das Anwesen gehört. Für die Behörden wohnt sie damit illegal an der River Road, übrigens einer Straße, deren Name wie Hohn klingt, denn der Tule River, an dem sie verläuft, ist ausgetrocknet. Folglich liefert ihr die Stadt keinen Wassercontainer, der in regelmäßigen Abständen aufgefüllt von der Kommune. Juana Garcia ist angewiesen auf Donna Johnson, die "Water Lady", wie man sie in dem 7000-Einwohner-Ort nennt.

Die fährt in ihrem wuchtigen Dodge zur Feuerwache, zu einem Tank für den allgemeinen Gebrauch, und hält bei den Ärmsten der Armen, die das Wasser aus Donnas Fässern eimerweise in ihre eigenen schöpfen. Die trübe Brühe taugt zum Klospülen, zum Wischen des Fußbodens, zur Not auch zum Wäschewaschen. Sobald die vier Bottiche neben Juanas Küche voll sind, reicht die "Water Lady" Mineralwasserflaschen von der Ladefläche.

Bei Donna und Howard Johnson, solide Mittelschicht, kam im Frühjahr 2014 nichts mehr aus dem Brunnen. Anfangs behielten sie es für sich, es war ihnen peinlich, als ob es ihre Schuld wäre. Zum Duschen fuhren sie ins Fitnesscenter. Nach drei Wochen hatte Donna das Versteckspiel satt, sie schrieb auf ein Blatt Papier, was ihr widerfahren war, fügte ihre Telefonnummer hinzu und pinnte das Blatt ans schwarze Brett eines Imbisslokals. Auf diese Weise wurde sie, eine überaus vitale 72-Jährige, zum Kummerkasten East Portervilles. In aller Regel wandten sich Landarbeiter an sie, die mit ihren Familien in besseren Schuppen leben und für ihre Plackerei mit acht- bis zehntausend Dollar pro Jahr entlohnt werden. Die meisten stammen aus Mexiko, viele haben nie richtig Englisch gelernt. Zumeist waren es ihre Kinder, die erzählten, dass auch sie auf dem Trockenen sitzen.

Unleistbare Infrastruktur

Rund 1200 Brunnen sind inzwischen ausgetrocknet. Zwar denkt East Porterville daran, neue Rohre zu verlegen und das städtische Wassernetz auszubauen – doch dazu wird ein Anrainer mit 25.000 Dollar zur Kasse gebeten, und das, weiß Donna Johnson, können sich nur wenige leisten.

Ihre Mutter war Krankenschwester beim Roten Kreuz, in Topeka, Kansas, mitten in der Prärie. Dass man Menschen in Not hilft, lernte Donna Johnson schon als Kind. "In Kalifornien haben wir es mit einem unsichtbaren Desaster zu tun", sagt sie. "Es gibt keine apokalyptischen Fernsehbilder, doch das Desaster ist nicht weniger schlimm." Eigentlich wollten die Johnsons in Ruhe Pferde züchten, als sie 1987 aus der Megacity Los Angeles aufs Land zogen. Das mit der "Water Lady" stand nicht auf dem Plan.

Es ist der Obst- und Gemüsegarten der Vereinigten Staaten, das Central Valley, das sich von Nord nach Süd über 700 Kilometer durch Kalifornien zieht. Fast die Hälfte aller Früchte und Nüsse, die in den USA angebaut werden, kommen von hier – und vier Fünftel der weltweiten Mandelproduktion. In den 1930er-Jahren ist ein Netz von Bewässerungskanälen massiv ausgebaut worden. Der Schnee, der im Winter in der Sierra Nevada fällt, ist so etwas wie der Garant des Systems. Nur hat es in den Bergen zuletzt so wenig geschneit wie lange nicht. Der meteorologische Ausnahmezustand stellt Gewissheiten infrage, an denen im "ag business" selten gerüttelt wurde.

Immer tiefere Brunnen

Rings um East Porterville begann der Boom erst, als in der Ära Roosevelt am San Joaquin River, dem zweitgrößten Fluss Kaliforniens, ein Damm gebaut und das aufgestaute Wasser über den Friant-Kern-Kanal nach Süden geleitet wurde. Bei den Wasserquoten gilt: ältere Anbaugebiete, ältere Ansprüche. Newcomer, deren Pflanzungen auf relativ spät erschlossenem Land liegen, gehen in Zeiten des Mangels leer aus. Ergo werden immer tiefere Brunnen gebohrt, "bei einem Pistazienbauern in der Nähe ging es tausend Fuß nach unten", erzählt Mandarinenbauer Galloway. Mancherorts ist der Boden abgesackt, weil Rekordmengen an Grundwasser heraufgepumpt werden. Experten vergleichen es mit einem Schwamm, aus dessen Poren Wasser herausgedrückt wird.

Ob das Valley radikal umdenken muss? So weit will Galloway nicht gehen, er zeigt auf schwarze Schläuche zwischen seinen Bäumen ("Tröpfchenbewässerung!"), er spricht von Vernunft und Innovation – und einem Silberstreif am Horizont. El Niño, das große Klimaphänomen, welches das Wetter im Pazifikraum bestimmt, könnte Erlösung bringen. In Kalifornien könnte es im Winter stark regnen beziehungsweise schneien. "Hoffen wir es", sagt Donna Johnson, "und hoffen wir, dass die Leute nicht so schnell vergessen, was sie gerade durchgemacht haben." (REPORTAGE: Frank Herrmann, 5.9.2015)