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Obdachlose in einer Stockholmer U-Bahn-Station – hier als Plakatsujet der rechten "Schwedendemokraten".

Foto: Reuters / TT News Agency

Sind die Schwedendemokraten (SD) bald Schwedens größte Partei? Die einwanderungskritischen Rechtspopulisten, die bei den Parlamentswahlen vor einem Jahr 12,9 Prozent der Stimmen erhielten, legen stetig zu. Mehrere Umfragen bescheinigen ihnen jetzt Werte zwischen knapp 18 und 20 Prozent. Nur noch sechs bis neun Prozentpunkte trennen sie von den regierenden Sozialdemokraten, deren einstige Kernwähler zur Konkurrenz überlaufen: In der Arbeiterschaft sind die SD inzwischen die Nummer eins. Unterdessen ist die Migrationspolitik zur wichtigsten Wählerfrage aufgestiegen, noch vor Dauerbrennern wie Gesundheitswesen und Schulpolitik.

Ist der Vormarsch der Rechten noch zu stoppen – und wenn ja, wie? Dass die sozialdemokratische Parteispitze die offene Auseinandersetzung meide, werde die SD jedenfalls "weiter begünstigen", urteilt Mats Knutson, Kommentator des schwedischen Fernsehens. Migrationsminister Morgan Johansson hatte vor einigen Tagen eine Fernsehdebatte mit einem führenden SD-Politiker abgesagt. Grund sei wohl "politische Panik" gewesen, fürchtet der Kolumnist der Tageszeitung "Dagens Nyheter" Johan Croneman: Es sei fraglich, ob man "eine solche Debatte überhaupt gewinnen" könne.

Gescheiterte Integration

In der Tat bietet die migrationspolitische Bilanz in dem Land, das 2014 im Verhältnis zur Einwohnerzahl EU-weit mit Abstand die meisten Asylbewerber aufnahm, zahlreiche Ansatzpunkte für Kritik. Der wohl schwerwiegendste ist das weitgehende Scheitern der Integration am Arbeitsmarkt. Mehr als sieben Jahre dauert es durchschnittlich von der Ankunft in Schweden bis zur Arbeitsaufnahme.

Erschwerend wirkt dabei der akute Wohnungsmangel in den Großstädten; in Stockholm wartet man inzwischen durchschnittlich knapp zehn Jahre auf die Zuweisung einer Mietwohnung. Viele Migranten würden daher in der an Arbeitsplätzen armen Provinz "geparkt", kritisierte unlängst der staatliche Rechnungshof.

Für Unruhe sorgt auch die eskalierende Kriminalität in den überwiegend von Migranten bewohnten Großstadtvororten. So hält Malmö mit rund 30 Handgranaten- und Sprengstoffanschlägen seit Jahresbeginn einen traurigen skandinavischen Rekord. Unterdessen schreitet die religiöse Radikalisierung in den einschlägigen Milieus fort. Laut Angaben des Staatsschutzes vom Jahresbeginn haben sich bis zu 300 schwedische Staatsbürger im Ausland der Terrororganisation "Islamischer Staat" angeschlossen. Gemessen an der Einwohnerzahl belegt Schweden damit europaweit einen der Spitzenplätze.

Ungestörte Imagepflege

Das Artikulieren von Ängsten angesichts dieser Entwicklungen galt in der öffentlichen Debatte der letzten Jahre nur begrenzt als opportun, was den SD bei der Imagepflege als "einzige wahre Opposition" entgegenkam. Angesichts der Klagen überforderter Kommunen und der wachsenden Landnahme durch die Schwedendemokraten setzt sich die rot-grüne Regierung jetzt für eine gerechtere Verteilung von Flüchtlingen in der EU wie auch innerhalb Schwedens ein; so erwägt man, unwillige Kommunen künftig zur Aufnahme zu zwingen.

Die bürgerlichen Parteien wiederum plädieren für restriktivere Asylregeln, unter anderem zum Beispiel für die Vergabe von zeitlich begrenzten Aufenthaltsgenehmigungen. Der Kampf um das Vertrauen der Wähler in Sachen Migrationspolitik dürfte derzeit die wichtigste – und schwerste – Aufgabe der etablierten Parteien sein. (Anne Rentzsch aus Stockholm, 4.9.2015)