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Flüchtlinge unterwegs nach Österreich.

Foto: APA/EPA/Kiriszan

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Empfang für die nach Deutschland weitergereisten Flüchtlinge in Frankfurt.

Foto: Reuters/Pfaffenbach

Die Meldung, dass die von der ungarischen Regierung zur Verfügung gestellten Busse für die Richtung Österreich marschierenden Flüchtlinge eine "Einmalaktion" war, hat die Migranten am Samstag nicht aufgehalten, erneut einen Fußmarsch Richtung Grenze zu starten. Insgesamt erreichten 8.500 Flüchtlinge den Wiener Westbahnhof. Sie wurden von zahlreichen Helfern versorgt. Die meisten Flüchtlinge seien nach Deutschland weitergereist. Nach Polizeischätzungen befänden sich derzeit ca. 1.500 Flüchtlinge am Westbahnhof. Die Lage sei sehr ruhig.

ÖBB-Sprecherin Sonja Horner erläuterte gegenüber der APA, die Ungarn würden derzeit drei neue Züge vorbereiten, die nach Hegyeshalom zur Grenze fahren. Dort müssten die Flüchtlinge wohl in der Nacht aussteigen und zu Fuß über die Grenze gehen.

"Überraschung" der Ungarn

ÖBB-Chef Christian Kern hat am Samstagabend weitere Flüchtlingsströme nach Österreich angekündigt. Noch im Laufe der Nacht sollen 1.500 Menschen aus Ungarn nach Österreich kommen. Die Flüchtlinge müssten die Nacht jedenfalls in Österreich verbringen, weil sie die Deutschen nicht in der Nacht übernehmen würden.

Kern bezeichnete im Gespräch mit der "Sonder-ZiB" des ORF-Fernsehens die neue Entwicklung als eine "Überraschung" seitens der Ungarn.

Soeben sei ein Zug mit 400 Flüchtlingen am Westbahnhof angekommen, sagte Kern. Nun werde gemeinsam vorbereitet, sie menschenwürdig unterzubringen. Er rechne damit, dass man morgen früh wieder mit 5.000 Flüchtlingen im Land starten werde.

Die Flüchtlinge würden von ungarischer Seite an die Grenze Hegyeshalom gebracht. Dort müssten alle aussteigen und zu Fuß über die Grenze nach Österreich gehen. Die ÖBB könnten nicht selber Züge nach Ungarn schicken und die Flüchtlinge in Budapest abholen, erläuterte er. "Die Ungarn erlauben die Einfahrt unserer Züge leider nicht".

Marsch auf der Autobahn

Der – nun schon zweite – Marsch von Flüchtlingen, der gegen Mittag am Budapester Ostbahnhof Keleti startete, wuchs bis zum späten Nachmittag auf rund 1.000 Menschen an, wie das ungarische Fernsehen berichtete. Am Nachmittag erreichten sie Budaörs. Laut Medien marschieren sie nicht auf der Autobahn M1 in Richtung Grenze, sondern auf der Landstraße Nr. 1. Unterwegs wurden die Flüchtlinge von der Bevölkerung mit Decken, Kinderwagen, Essen und Trinken versorgt. In Biatorbagy sollten die Flüchtlinge auf dem Bahnhofsgelände übernachten.

Mehrere Gruppen unterwegs

Eine Gruppe andere Flüchtlinge machte sich vom Osten aus auf den Weg Richtung Westen. Auch sie wurden von Freiwilligen versorgt, während Polizisten für die Sicherheit des Flüchtlingsmarsches sorgten. Am Abend sollten sie in der Ortschaft Kimle übernachten, wahrscheinlich unter freiem Himmel.

Aus dem Sammellager Bicske nahe Budapest waren rund 250 Flüchtlinge Richtung österreichischer Grenze unterwegs, sie sollten in der Stadt Tatabanya übernachten. Aus dem Auffanglager Röszke an der ungarisch-serbischen Grenze machten sich am Vormittag rund 70 Migranten zu Fuß auf den Weg zur 170 km entfernt gelegenen österreichischen Grenze – am Nachmittag ließen sie sich aber freiwillig von der Polizei zurückbringen.

Grenzübertritt zu Fuß

Jene mehrere tausend Flüchtlinge, die seit den frühen Morgenstunden mit Bussen aus Ungarn an die österreichische Grenze gebracht wurden, mussten die Grenze in Nickelsdorf zu Fuß passieren und wurden danach mit Zügen und Bussen nach Wien weitertransportiert. Um die Sicherheit der Flüchtlinge zu gewähren, war der Grenzübergang vorübergehend gesperrt. Am frühen Abend wurde er jedoch wieder geöffnet, wie die Polizei mitteilte. In der Nacht wird es vorerst keine Transporte für Flüchtlinge vom Grenzübergang nach Wien geben. Der erste Zug von Nickelsdorf kommt am morgigen Sonntag um 9.20 Uhr am Wiener Westbahnhof an, wie die ÖBB mitteilte. Am Sonntag soll der Zugverkehr mit verstärkter Kapazität geführt werden, wie ÖBB-Sprecherin Sonja Horner sagte.

Der ungarische Polizeichef Karoly Papp ließ indes wissen, dass sein Land trotz des neuen Marsches der Flüchtlinge keine Busse mehr bereitstellen will. Dies sei eine "einmalige" Aktion gewesen.

Verstimmungen

Wurde die Zusammenarbeit zwischen Ungarn und Österreich in der Vergangenheit stets als gut gelobt, kam es im Verlauf des Tages zu mehreren Friktionen. Vor allem die Sperre des Grenzüberganges sorgte für Verstimmungen. Obwohl die Flüchtlinge den Verkehr nicht störten, hätte Österreich dennoch die Grenze gesperrt, kritisierte Kanzleramtsminister Janos Lazar laut ungarischer Nachrichtenagentur MTI. Die österreichische Polizisten "wissen nicht was sie tun sollen", weil sie "von der (österreichischen) Bundesregierung keine klare Anweisungen" bekommen hätten, behauptete Lazar.

Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) verteidigte das Vorgehen und begründete den Schritt mit dem "Schutz der Flüchtlinge". Sie bezeichnete das Vorgehen des Nachbarlandes als "schwer nachvollziehbar" und "nicht zufriedenstellend". Die Zusammenarbeit sei "äußerst schwierig", sagte die Ministerin. Auch Burgenlands Landespolizeidirektor Hans Peter Doskozil kritisierte seine ungarischen Kollegen scharf.

"Offensichtlicher Meinungsunterschied"

Auch der ungarische Premier Viktor Orban sprach von einem "offensichtlichen Meinungsunterschied" zwischen Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) und ihm. Orban kündigte an, seinen Amtskollegen kommende Woche treffen zu wollen. Dazu könnte es bereits am Montag nach dem Treffen der Regierungschefs von Österreich, der Slowakei und Tschechien kommen, berichtete die ungarische Nachrichtenagentur MTI.

Am Wiener Westbahnhof herrschte indes Ausnahmezustand. Bis zu 3.400 Flüchtlinge hielten sich gleichzeitig auf dem Areal auf, 125 Personen mussten medizinisch betreut werden. Die meisten litten an Erschöpfung oder hatten Fußverletzungen vom langen Marsch. Elf davon mussten ins Krankenhaus gebracht werden. Nur 20 Personen stellten einen Antrag auf Asyl.

Empfangen wurden die Schutzsuchenden von einer Welle der Hilfsbereitschaft. Laut Polizei waren am Nachmittag schon genügen Helfer und Spenden vorhanden. Um aktuelle Informationen über die Hilfsaktion zu erhalten, wurde eine Website eingerichtet: www.hilfeambahnhof.wien.

Für einen Großteil der Migranten ist Österreich aber nur eine Zwischenstation. Mehrere Sonderzüge brachten die Menschen am Samstag von Wien über Salzburg nach Deutschland – für viele das lang ersehnte Endziel ihrer oft monatelangen Reise. Bis zum Abend erreichten 3.000 Asylsuchende den Bahnhof München. Insgesamt rechne man bis zur Nacht mit der Ankunft von 7.000 Personen. Sie sollen bis zum Wochenende auf ganz Deutschland aufgeteilt werden.

Keine Dauerlösung

Faymann versicherte, dass das österreichische Vorgehen mit Deutschland abgestimmt sei und dass es sich um keine Dauerlösung handeln könne. Daher sei es bei der Öffnung der Grenze nicht um die Lösung der Flüchtlingsfrage insgesamt gegangen sondern um jene der dramatischen Situation vergangene Nacht.

Dass sich diese wiederholen könnte, ist angesichts des neuen Flüchtlingsmarsches in Ungarn absehbar. Nachdem sich die Lage auf dem Budapester Bahnhof Keleti kurzzeitig entspannt hatte, fanden sich bis Mittag wieder mehr als 1.500 Asylwerber auf dem Gelände ein.

Aktivisten aus Österreich wollen am Sonntag mit einem Konvoi von Privatautos weitere Flüchtlinge nach Österreich holen. Bereits am Samstag wurde eine Gruppe anderer Aktivisten in Budapest dabei beobachtet, Flüchtlingen Tipps zur Ausreise gegeben zu haben. Die Helfer aus dem Nachbarland würden mit einer neuen Strategie versuchen, die am Ostbahnhof festsitzenden Migranten außer Landes zu bringen, berichtete das ungarische Portal 444.hu. (APA, 5.9.2015)