Sonntagsreden gab es rund um das Thema Bildung schon unzählige. Fakt ist: Es gibt kein Generalrezept für gute Bildung. Vor allem kein ideologisch konzipiertes. Als Vater zweier Kinder, der selbst in Australien aufgewachsen ist, in der Schweiz wohnt und in Österreich und der Welt arbeitet, konnte ich die unterschiedlichen Bildungssysteme mit all ihren Vor- und Nachteilen kennenlernen.
Mein Fazit: Ganzheitlich erfolgreich sind vor allem jene Bildungssysteme, die sich nach folgenden drei Grundsätzen ausrichten: soziale Durchlässigkeit für Kinder aus sozial schwächeren Umfeldern, die aktive Förderung individueller Talente und keine Nivellierung aller auf ein unteres Mittelmaß.
Für alle Kinder und Jugendlichen muss es entsprechend der individuellen Talente Ausbildungsmöglichkeiten auf höchstmöglichem Niveau geben. Voraussetzung dafür sind modernste Strukturen für jeden Bildungsweg: Eine Top-Lehrlingsausbildung ist genauso unerlässlich wie erstklassige berufsbildende Schulen und natürlich Universitäten auf internationalem Niveau. Hier gilt: Bildung als großes Ganzes ist viel mehr als die Summe der Einzelteile. Denn es ist bewiesen: Eine auf allen Ebenen gebildete Gesellschaft ist eine starke und erfolgreiche Gesellschaft.
Soziale Durchlässigkeit
Grundlegende Voraussetzung, um Chancengleichheit für Kinder aus unterschiedlichen sozialen Lagen sicherzustellen, ist die soziale Durchlässigkeit des Systems. Diese ist in Österreich nach wie vor nicht gegeben: Kinder mit niedrigem Sozialstatus haben längst nicht die gleichen Erfolgschancen wie der Nachwuchs aus wohlhabenderem Umfeld, die Schere beginnt sich spätestens in der Volksschule zu öffnen. Das ist nicht nur betroffenen Kindern gegenüber schlicht und einfach ungerecht, auch das Land beraubt sich dadurch zahlreicher potenzieller Spitzenkräfte.
Was wir brauchen, sind die besten Ausbildungsmöglichkeiten für unsere klügsten Köpfe – unabhängig vom jeweiligen sozialen Status. Finanzielle oder bürokratische Hürden dürfen nicht dazu führen, dass die Talente der Kinder auf der Strecke bleiben. Solange der Bildungsstatus in Österreich quasi vererbt wird, werden wir im internationalen Vergleich immer einen Wettbewerbsnachteil haben – zum Schaden aller. Die Politik muss sich darauf konzentrieren, Kinder frühestmöglich zu fördern.
Dazu müssen öffentliche Einrichtungen wie Kindergärten und Schulen gestärkt werden. Es ist sinnvoller, mehr Geld für gut ausgebildete und motivierte Pädagogen auszugeben als für Sachbearbeiter, die Förderanträge aller Art bearbeiten.
Das bedeutet: Gerechtigkeitslücken im Nachhinein zu schließen ist weit weniger sinnvoll, als bereits im Vorhinein zu verhindern, dass diese überhaupt entstehen. Hier dienen die skandinavischen Länder als Vorbild: Die Förderung von Kleinkindern ist dort wesentlich wichtiger als die Auszahlung von Förderleistungen im Nachhinein. Chancengleichheit muss sichergestellt werden, bevor Lücken entstehen!
Talente entfalten
Wenn alle gleich schlecht sind, ist niemandem geholfen. Im Mittelpunkt der Bildung müssen zu jeder Zeit Schülerinnen und Schüler sowie deren Bedürfnisse und Chancen stehen. Es gilt, Talente mit dem Ziel der individuellen Bestleistung zu fördern. Von schulischem Grundwissen – Lesen, Schreiben, Rechnen – abgesehen, muss jedes Kind die Möglichkeit haben, sich entsprechend seiner Talente bestmöglich weiterzubilden und zu entfalten. Nicht jeder Schüler kann schreiben wie Goethe, nicht jeder kann rechnen wie Pythagoras – Spezialisierung anhand der jeweiligen individuellen Talente ist hier das Zauberwort. Das aktuelle Bildungssystem produziert sprichwörtlich einen "Jack of all trades, master of none": Was wir brauchen, sind mehr spezialisierte "Meister" und weniger mittelmäßige "Tausendsassa". Hier gilt: lieber ein guter Handwerker als ein schlechter Akademiker.
Keine Nivellierung auf das Mittelmaß
Damit einhergehend muss das Motto lauten: Keine Nivellierung hin zum Mittelmaß, sondern eine Förderung der Besten. Hier ist das Problem offensichtlich: Der Lernfortschritt in den Klassen richtet sich nach den schwächeren Schülern, die Besten werden nicht ausreichend gefördert. Die Folge: Ganze Generationen werden auf ein Bildungsmittelmaß nivelliert – auch hier wieder zum Schaden aller. Entscheidend ist am Ende des Schultages aber nicht Ergebnisgleichheit hin zum unteren Mittelmaß, sondern die anfangs erwähnte Chancengleichheit für Schüler aus allen Schichten – sichergestellt vom Staat, der es selbst in der Hand hat, die Bildungsprobleme zugunsten aller zu lösen. (Mark Garrett, 6.9.2015)