Gestern Griechenland, heute die Flüchtlinge. Und morgen? Sicher ist, dass wir immer öfter mit nicht vorhersagbaren Phänomenen konfrontiert sind. Stichworte: Kriegsfolgen, Klimawandel, Wirtschaftskrisen.

Vieles, wie Naturkatastrophen, ist nicht direkt beeinflussbar, obwohl teils auf menschliches Versagen zurückzuführen – Abholzung, Landraub, Profitgier.

Durch maßvolle Politik kann viel Unheil verhindert werden. Anfang der 90er-Jahre, als der damalige Präsident Václav Havel entschied, die Trennung der Slowakei von der Tschechoslowakei nicht mit Panzergewalt zu stoppen, ist nach Auffassung vieler Experten ein Regionalkrieg vermieden worden, der auch Österreich stark betroffen hätte.

Noch ist die Ukraine-Krise nicht ausgestanden. Aber bisher haben die EU und US-Präsident Barack Obama durch die Politik der Sanktionen und gegen – auch in Österreich publizistisch verfochtene – Waffengewalt einen Flächenbrand verhindert. Nicht auszumalen, hätten sich die Republikaner in den USA und die Scharfmacher in der EU (z. B. Polen) durchgesetzt.

Von der EU am wenigsten zu steuern sind die Kriege im Nahen Osten, obwohl anzumerken ist: ein Glück, dass die Türkei Mitglied der Nato ist, und schade, dass ein EU-Beitritt (auch von Österreich) abgeblockt wurde, bevor sich Recep Erdogans Machtgelüste autoritär vergrößert haben. Mehr Verweigerungspolitik, als sie die baltischen Staaten betreiben, und mehr Blockadehaltungen, als von Ungarn bis hinauf nach Polen gezeigt, würden auch von der Türkei nicht demonstriert werden.

"Festung Europa"

Vor allem die letzten Tage haben gezeigt, dass die mittelalterlich anmutende Ideologie von einer "Festung Europa", in den Köpfen der Rechtspopulisten ergänzt durch Länderzäune und Stadtmauern, nicht haltbar ist. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat das auch offen ausgesprochen.

Gerade in diesen Tagen wird klar: Wer die nach Deutschland strebenden Flüchtlinge an den EU-Außengrenzen aufhalten will, muss Gewalt einsetzen. Stacheldraht allein ist schnell löchrig. Also besser eine geordnete Flucht (wie von der DDR-erfahrenen Kanzlerin Angela Merkel entschieden) als eine Aussperrung und menschliche Katastrophen. Der EU-Ratspräsident und ehemalige polnische Premier Donald Tusk bremst zwar vehement, aber er wird sich hoffentlich nicht durchsetzen.

Die vor allem im Osten Österreichs spontan entstandene Solidaritätswelle ist in ihrem Ausmaß nicht neu. Siehe 1956, 1968 und 1990er-Jahre.

Sie hat aber eine andere Qualität. Denn sie überspringt kulturelle und religiöse Schranken. Das Echo auf die Regierungsentscheidungen in der Nacht von Freitag auf Samstag sollte SPÖ und ÖVP beflügeln, im Blick auf die Strache-Partei und deren gestrige Slogans nicht in Angststarre zu verfallen.

Der Wiener Bürgermeister Michael Häupl, die Grünen, die Neos haben die offene Auseinandersetzung mit den Blauen gesucht. Der 11. Oktober wird darüber entscheiden, ob der "Westbahnhof" zum Symbol einer Politikumkehr wird. Hin zu mehr Mut, weg vom Schielen auf Umfragen. (Gerfried Sperl, 6.9.2015)