Will von Wien aus Europa bearbeiten: Victor Chetverikov

Foto: NRA

Wien – Die russische Ratingagentur NRA (National Rating Agency), die sich kürzlich in Wien niedergelassen hat, will von hier aus West- und vor allem Osteuropa abdecken. "Wir wollen um eine entsprechende Lizenz bei der Esma, der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde, in Paris ansuchen", sagt Victoria Mukhina, Geschäftsführerin der Österreich-Niederlassung zum STANDARD.

Da die Vorgaben, die die Esma für eine Rating-Lizenz vorschreibt, äußerst umfangreich sind, erwartet die privat geführte Agentur, dass dieser Prozess bis zum Okay etwa zwei Jahre dauert. Bis dahin will die NRA EU-Firmen und Institutionen von Wien aus nur Analysen und Studien zu Russland anbieten.

Know-How aus Russland

"So wie das Wifo in Wien können auch wir volkswirtschaftliche Studien anbieten. Wir haben besonderes Know-how über die einzelnen Regionen in Russland, ebenso wie über Branchen wie Energie oder Metallurgie", beschreibt Mukhina dieses Standbein der NRA. Solange die Zulassung für die EU bei der Esma nicht da ist, werden Ratings nur in Russland gemacht.

Dort ist die NRA zweitgrößte Ratingagentur des Landes. Sie wurde im Jahr 2000 von Victor Chetverikov zusammen mit zwei weiteren Privatpersonen gegründet. Auf Unabhängigkeit, insbesondere gegenüber dem Staat, legt man großen Wert. Rating-Entscheidungen seien keine Einzelentscheidungen, sondern würden in einer kleinen Gruppe, einem Rating-Komitee, getroffen. Seit 2011 ist die russische Agentur Mitglied der European Association of Credit Ratings Agencies (EACRA); im Jahr 2008 hat die Agentur den russischen Ethikcode für Rating-Agenturen übernommen.

Verzicht auf Zinsen

Eine Spezialität der NRA in Russland ist "Islamic Rating". Dabei werden Finanzprodukte nach Scharia-Kriterien überprüft; auf Zinsen muss verzichtet werden. Mukhina sieht einen Bedarf dafür auch auf dem österreichischen Finanzmarkt. "Sowohl bei der islamischen Bevölkerung als auch bei arabische Investoren, die deshalb nach Österreich kommen könnten." Die NRA stellt Islamic Ratings auch in Ländern der ehemaligen Sowjetunion bereit, beispielsweise in Aserbaidschan.

Weitere Agenturgründung

Unabhängig davon will der russische Präsident Wladimir Putin eine eigene Ratingagentur gründen, die, wie berichtet, das Land unabhängiger von den weltweit dominierenden drei großen Agenturen (Moody's, Fitch sowie Standard & Poor's) machen soll. Insbesondere die Entscheidung von Standard & Poor's und Moody's von vergangenem Winter/Frühjahr, die Kreditwürdigkeit Russlands auf Ramschniveau herabzustufen, war beim Kremlchef auf heftige Kritik gestoßen. Er nannte die Entscheidung politisch motiviert.

Nun soll die künftige russische Agentur bis Jahresende stehen; sie dürfte aber im Dunstkreis der Zentralbank angesiedelt sein. Die Agentur wird nämlich von der Notenbank finanziell ausgestattet, und zwar mit drei Milliarden Rubel (48 Millionen Euro).

Die Führung soll Jekaterina Trofimowa übernehmen, die derzeitige Vizepräsidentin der Gazprombank. Sie arbeitete früher für Standard & Poor's. (Johanna Ruzicka, 6.9.2015)