Wien – Dominique Meyer muss per Jobdefinition weit vorausplanen. Zu Beginn seiner zweiten Fünfjahresperiode als Staatsoperndirektor erscheint es ihm jedoch verwegen, über die Zeit nach 2020, also über eine weitere Vertragsverlängerung, die ab 2017 zur Entscheidung anstehen soll, nachzudenken. "Ich bin hier glücklich, liebe das Haus. Bis 2017 kann aber viel geschehen. Ich habe ein Problem damit, über die Zukunft zu reden, wenn gerade meine zweite Fünfjahresperiode beginnt. Aber natürlich habe ich meine Erfahrungen gemacht, kenne das Haus immer besser. Und: Ich fühle mich unterstützt, ganz und gar nicht unverstanden."
Der Vorstand der Wiener Philharmoniker, Andreas Großbauer, ist da offenherziger: "Entscheidend ist, dass 2017, wenn über die Vertragsverlängerung diskutiert und entschieden wird, Dominique Meyer zur Verfügung steht. Das hoffen wir. Ich verstehe, dass er sich noch nicht deklarieren möchte. Aber wir als Staatsopernorchester tun es gerne. Er hat das Haus geöffnet, für die Kollegen ist es ein richtiges Zuhause. Dieses Gefühl hatte wir früher nicht immer." An diesem Vorstoß ist nur der Zeitpunkt überraschend. Dass man sich gut versteht, war schon länger klar – und ist auch wichtig. Großbauer: "Es gibt bei Planungen Reibungspunkte, aber es funktioniert, wenn man miteinander spricht. Mit Meyer funktioniert es. Und: Der weltberühmte Klang des Orchesters ist ja auch der Operntätigkeit, also dem Repertoiresystem geschuldet."
"Wir reden regelmäßig", so Meyer. "Fragen, die Spielpläne betreffend, sind dabei sehr wichtig. Diese Planungen sind extrem kompliziert. Würden wir uns nicht gut verstehen, könnte das die Hölle sein! Es ist ein Geben und Nehmen. Alles, was wir hier machen, ist aber nur möglich, da wir das Orchester und den Chor haben. Dass wir am Ende der Saison parallel Ring, Salome, Fidelio, Don Giovanni, Cardillac und Tempest spielen konnten, hängt mit dem Orchester zusammen."
Kein neuer General
All dies wird in den nächsten fünf Jahren ohne einen Nachfolger für den zurückgetretenen Franz Welser-Möst passieren. "Man kann nicht kurzfristig in die Fußstapfen eines Musikdirektors treten. Man kann einzelne gute Lösungen finden, was wir in der vorigen Saison auch getan haben. Wenn jemand jetzt in diese Position käme, müsste er als Erster wählen dürfen, welche Stücke er dirigieren möchte. Dazu müsste man aber die Spielpläne demontieren. Nein, in meiner zweiten Periode wird es keinen Musikdirektor geben, wir suchen keinen."
Vermissen die Philharmoniker Franz Welser-Möst? "Nein, da wir ihn ja haben! Wir arbeiten intensiv mit ihm in Salzburg, waren mit ihm in Skandinavien. Dafür muss er nicht fix ans Haus gebunden sein. Wir vermissen grundsätzlich einen Musikdirektor nicht." Da absorbiert die Frage nach Budget und Struktur der Bundestheater insgesamt mehr Aufmerksamkeit: "Positiv ist die neue Dreijahresplanung", sagt Meyer. "Verträge vier Jahre im Voraus zu unterschreiben, ohne zu wissen, was finanziell kommt, ist heikel. Man ist ja verantwortlich. Was die Finanzen anbelangt, ist der Regierung, glaube ich, klar, dass man etwas tun muss. Es ist aber nicht meine Art, öffentlich über Budgets zu reden, ich lasse das in den Büros. Beim neuen Bundestheatergesetz muss man abwarten, wie das funktioniert. Wichtig ist, dass die künstlerische Unabhängigkeit beim Direktor, beim Haus bleibt."
Klar sei, so Meyer: "Das Haus kann das Budget ausbalancieren, wenn die Auslastung bei 99 Prozent ist. Wenn wir 98 Prozent haben, was anderswo ein Traum wäre, kratzen sie sich schon besorgt den Kopf und fragen, was sie schlecht gemacht haben. Die Latte ist also sehr hoch. Es ist aber nicht gesagt, dass die Auslastung so hoch bleiben kann. Man hat nicht immer alles im Griff."
Womit quasi auch schon zum für die Herren sehr wichtigen Thema der Flüchtlingshilfe übergeleitet wäre: "Man wird später zu Recht die Frage stellen: Was haben wir im Herbst 2015 getan, um das Leid der Menschen zu lindern? Die Philharmoniker haben innerhalb von Tagen ein Benefizkonzert am 28. 9. im Konzerthaus mit Christoph Eschenbach organisiert. Die Einnahmen werden an Hilfsorganisationen gehen. Wir dürfen nicht in Angst verfallen, müssen helfen!", so Großbauer. Meyer ergänzt: "Die Welt der Kunst ist manchmal verwöhnt, und sie muss jetzt großzügig sein. Wir haben fürs Erste eine Spendenaktion gestartet. Und wir planen auch Gemeinsames mit dem Orchester." (Ljubiša Tošić, 6.9.2015)