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Österreichs Homeless-Teamchef Gilbert Prilasnig: "Die Spieler sollen durch das Turnier Kraft schöpfen, um ihre Lebenssituation aktiv verändern zu können."

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Der 16-fache Teamspieler Prilasnig bereitet seine Mannschaft auch taktisch auf das Turnier in Amsterdam vor.

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"It's here", lautet der Slogan des 13. Homeless Word Cup, der ab Samstag in Amsterdam über die Bühne geht. In 48 Teams kämpfen Obdachlose, Straßenzeitungsverkäufer und Flüchtlinge, aber auch trockene Alkoholiker und ehemalige Drogenabhängige um den Titel, betreut werden sie erneut vom ehemaligen Teamspieler Gilbert Prilasnig. Ins Leben gerufen wurde das Street-Soccer-Turnier 2003 von der Caritas Steiermark und dem Weltverband der Straßenzeitungen, bei der Premiere auf dem Grazer Hauptplatz kürte sich die österreichische Auswahl gleich zum Weltmeister. Durch den sportlichen Erfolg sollen die Spieler Selbstvertrauen, Stolz und Bestätigung zurückgewinnen, sagt Caritas-Präsident Michael Landau über das Ziel des mit dem Uefa Charity Award ausgezeichneten Turniers. In Paris wurde 2011 erstmals auch eine WM für Frauen organisiert.

STANDARD: Sie betreuen seit 2004 die österreichischen Teams beim Homeless World Cup. Gibt es ein Erlebnis, das besonders prägend in Erinnerung geblieben ist?

Gilbert Prilasnig: Vor dem Turnier in Melbourne 2008 mussten wir wegen einer Absage kurzfristig einen Tormann organisieren, der aus meiner Sicht sportlich nicht wirklich geeignet war. Außerdem war er nicht nur optisch ungepflegt, sondern auch olfaktorisch grenzwertig. In Melbourne hat er dann nicht nur eine tolle WM gespielt, er ist persönlich richtig aufgeblüht: Plötzlich hat er begonnen zu lachen und sich zu pflegen. Er hat seinen Bart abrasiert und sich einen Hut gekauft. "Ich hab' hier gesehen, dass ich alles schaffen kann, und werde mein Leben verändern", sagte er danach in einem Interview. In Österreich hat er sich dann neue Freunde und Arbeit gesucht.

STANDARD: Was hat Ihn so stark verändert?

Prilasnig: Durch das Turnier hat er enormes Selbstvertrauen getankt. Er hat gesehen: Hoppala, ich bin als Mensch etwas wert. Ich spiele hier für Österreich und halte wichtige Bälle. Das Team akzeptiert mich, mag mich.

STANDARD: Die Spieler tanken durch das Turnier Selbstvertrauen, weil sie Bestätigung erfahren – könnte man so das Ziel des Homeless World Cup formulieren?

Prilasnig: Die Spieler sollen durch das Turnier Kraft schöpfen, um ihre Lebenssituation aktiv verändern zu können. Die Teilnahme am Homeless World Cup ist ja auch ein enormer emotionaler Stress, da werden Courts aufgebaut, Passanten bleiben stehen und schauen sich die Spiele an. Es gibt einen großen Medienrummel. Die Spieler geben Interviews, die Bundeshymne wird gesungen, man spielt in schönen Dressen und lernt neue Städte kennen. Diese Erfahrungen können in einem Menschen sehr viel bewirken.

STANDARD: Bekommen Sie als Teamchef viel mit von den Problemen Ihrer Spieler?

Prilasnig: Darüber wird schon gesprochen. Ich sehe es aber nicht als meine primäre Aufgabe, mit den Spielern über ihre Vergangenheit zu sprechen. Die Fußballer kommen ja aus verschiedenen sozialen Einrichtungen, in denen sie im Normalfall ihre Vergangenheit aufarbeiten. Mein Job liegt eher darin, ihnen durch ein gutes Turnier Perspektiven für ihre Zukunft zu eröffnen.

STANDARD: Warum haben Sie sich überhaupt dazu entschlossen, das Amt des Teamchefs zu übernehmen?

Prilasnig: Als ich 2004 zugesagt habe, war der Homeless World Cup in Graz in aller Munde. Das erste Turnier fand ja 2003 am Grazer Hauptplatz statt, und Österreich hat sich gleich zum Weltmeister gekürt. Ich habe mir gesagt: Das ist eine coole Sache, da musst du mitmachen. Später habe ich auch bemerkt, dass es eine tolle Möglichkeit ist, Menschen zu helfen. Ich leiste durch diese Arbeit meinen sozialen Beitrag für die Menschheit.

STANDARD: Gibt es Sachen, die Ihre Spieler von Ihnen auch für ihr Leben nach dem Turnier lernen können?

Prilasnig: Ich bin kein Lehrer, der Erfahrungen einimpft. Ich versuche die Bedingungen für ein Turnier zu schaffen, das den Teilnehmern auch Spaß macht. Das funktioniert unter anderem durch verschiedene Teambuilding-Maßnahmen. Im Trainingslager in Zeltweg haben wir zum Beispiel ein Gokart-Rennen veranstaltet.

STANDARD: Ist Teambuilding bei Spielern, die vor kurzem noch in Extremsituationen gesteckt sind, besonders wichtig?

Prilasnig: Ich denke, ja. Die Spieler, die am Homeless World Cup teilnehmen, sind von ihrer Biografie her im Normalfall Einzelkämpfer. Deshalb versuchen wir verstärkt zu vermitteln: Der Fußball ist ein Sport, in dem man nur gemeinsam erfolgreich sein kann. Ich denke, dass auch dadurch ein sozialer Lernprozess einsetzt, der für die Teilnehmer nach der WM sehr wertvoll sein kann.

STANDARD: Nach welchen Kriterien werden die Spieler für das Nationalteam ausgesucht?

Prilasnig: Die Spieler sollten fußballerisch so gut sein, dass man ein für die Teilnehmer sportlich befriedigendes Turnier spielen kann. Mit Trainer Klaus Fuchs achte ich aber auch besonders darauf, Spieler auszusuchen, die psychisch imstande sind, diese zehn teilweise stressigen Tage in der Gruppe zu verbringen. Bei anderen Teams gab es immer wieder Fälle, in denen Spieler während des Turniers große Krisen durchmachen mussten.

STANDARD: Wie darf man sich die Vorbereitung auf ein solches Turnier vorstellen? Wird auch über Taktik gesprochen?

Prilasnig: Von den letzten Turnieren können fast alle Videos im Internet angeschaut werden. Das machen die Spieler, wir machen es aber auch gemeinsam im Team. Dadurch lernen sie sehr gut, wie dort gespielt wird. Im Straßenfußball gelten ja ganz eigene Regeln. Um diese zu verstehen und erfolgreich zu sein, müssen auch taktische Konzepte besprochen und befolgt werden. Sonst wird man nicht viele Spiele gewinnen.

STANDARD: Das österreichische Team spielt in der Vorrunde gegen England, Griechenland, Polen, Peru und Simbabwe. Wie schätzen Sie die Gruppe ein?

Prilasnig: Das ist schwierig zu beantworten, weil die Teams jedes Jahr mit neuen Spielern antreten müssen. In den letzten Jahren war Griechenland ein schlagbarer Gegner, wenn die Kräfteverhältnisse heuer ähnlich sind, haben wir gute Chancen, unser Auftaktspiel zu gewinnen. Polen ist eine traditionell starke Mannschaft, die sportlich vermutlich über uns zu stellen ist. Peru ist in der Regel nicht so gut wie Brasilien oder Mexiko, spielt aber noch nicht so lange mit. Simbabwe ist unberechenbar. Viele afrikanische Spieler lernen auf der Straße, Fußball zu spielen, wodurch sie eine besondere Technik entwickeln. Die Engländer sind üblicherweise gut organisiert. Was den Titel betrifft, haben sie in den letzten Jahren aber keine Rolle gespielt.

STANDARD: Wie lautet Ihre Prognose für die österreichische Auswahl?

Prilasnig: Mit einer genauen Prognose bin ich diesmal vorsichtig. Im letzten Jahr war ich vor der WM in Santiago de Chile zu optimistisch, wir sind dann nur 23. geworden. In Amsterdam wollen wir aber auf jeden Fall die Zwischenrunde überstehen. (Kordian Prokop, 11.9.2015)

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