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Flüchtlinge am Samstag in Nickelsdorf. In der Nacht von Freitag auf Samstag sagten die Regierungen in Wien und Berlin zu, sie wegen der Notlage nach Österreich und Deutschland einreisen zu lassen.

Foto: ap/Frank Augstein

Vor ein paar Tagen eine Diskussion am Esstisch. Was, denkt ihr, wird in Europa als Folge der Flüchtlingskrise passieren, fragt der amerikanische Historiker, der gemeinsam mit seiner Frau, einer Krankenschwester, bei uns zum Abendessen ist. Am Tisch sitzen Menschen mit unterschiedlichen Perspektiven und politischen Hintergründen. Meine Schwester, eine Studentin aus Österreich, meine Eltern – Exilösterreicher, die seit rund sieben Jahren in den Vereinigten Staaten leben – und zwei Besucher aus Frankreich, von denen eine in einer französischen NGO aktiv ist, die sich mit der Versorgung und Integration von Flüchtlingen in Frankreich auseinandersetzt.

Natürlich finden wir am Esstisch zu keiner Universallösung. Die derzeitige Krise ist, erstens, ein hausgemachtes Problem. Darüber herrscht relativ bald Konsens. Und zweitens ist es sehr erfreulich, wie sich die Zivilbevölkerung engagiert. Der laute Ruf nach Menschlichkeit im Umgang mit Menschen, die aus Krisengebieten nach Europa flüchten, vor Krieg, vor Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Tod, Hunger und wirtschaftlichem Kollaps in ihren Herkunftsländern – das lässt hoffen.

Abwenden von Leid?

Menschen leiden unter den Folgen unserer Außenpolitik – und sie dürfen auch deshalb nicht alleingelassen werden mit Problemen, die so vielschichtig und komplex sind, dass sich auf den ersten Blick die Schuldfrage auf keinen Fall beantworten lässt. Aber mehr als die Schuldfrage muss man sich die Frage nach der Verantwortlichkeit stellen. Wollen wir in einer Welt leben, unsere Kinder in einer Welt großziehen, in der man sich ohne moralische oder anderweitige Folgen einfach abwenden kann von Leid, das man indirekt mitverursacht hat? Die notwendige Konsequenz ist eine unangenehme für unsere politikverdrossene Generation.

Macht Geschichte!

Deshalb ein Aufruf an die Jugend. Nützt das Glück und den Luxus, in den ihr hineingeboren seid! Studiert, informiert euch und nehmt Einfluss. Werdet Manager und Politiker, Leiter von NGOs und Journalisten, Diplomaten und Ärzte! Formt unsere Gesellschaft so, dass ihr als Großmütter und -väter den Enkeln in den Ohren liegen könnt mit Sätzen wie "Wir waren dabei, wir haben etwas bewirkt!". Ihr seid diejenigen, die den Merkels und Camerons, den Faymanns und Hollandes und, noch viel wichtiger, den Wilders und Straches, den Orbáns und Le Pens von Europa beweisen könnt – beweisen müsst –, dass sie endlich lernen müssen, Verantwortung zu übernehmen. Und so bewundernswert und aufregend es ist, belasst es nicht dabei, in den Wochen nach dem Tod von 71 Flüchtlingen Lebensmittel und Spielzeug auszuteilen. Verfolgt eure Ziele, verwirklicht euch und macht Geschichte! (Clara-Maria Reimitz, 9.9.2015)