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"Noch nie hat die EU-Kammer mit einer solch widersprüchlichen Regierungsagenda zu tun gehabt, die auf der einen Seite Reformen will und sich auf der anderen Seite davon abschottet", bemängelte EU-Kammerpräsident Jörg Wuttke bei der Präsentation einer EU-Untersuchung in einem Pekinger Hotel.

Foto: APA/ Rolex Dela Pena

Jedes vierte europäische Unternehmen in China sieht derzeit rot. Zumindest schalteten 24 Prozent der Firmen, Banken oder Dienstleister in der Volksrepublik auf die Ampelfarbe. Sie waren von der EU-Handelskammer in Peking gefragt worden, wie die chinesische Führung ihre vor zwei Jahren gemachten Reformversprechen eingehalten hat, sich vom Markt leiten zu lassen und der ausländischen Wirtschaft fairen und besseren Zugang zu ihm zu verschaffen. Davon merkten sie bisher nichts, meinten die Rot drückenden Unternehmen.

Einige sehen sogar einen Rückfall zu noch weniger Marktwirtschaft. Das bewirkten etwa Pekings verschärfte Gesetze zur nationalen Sicherheit mit ihren unklar gehaltenen Regelungen, welche Bereiche der Wirtschaft davon betroffen sind. Dafür sorgten Cybergesetze, die sich von den Firmen Zugang zu ihrer Software oder den Quellcodes erzwingen wollten, oder das geplante NGO-Recht, das alle Nichtregierungsorganisationen und Verbände künftig unter Polizeikontrolle stellen lässt.

Unklarer Kurs des Reformzugs

Nur zehn Prozent der Befragten erkennen deutliche Fortschritte bei Chinas Reformen. Sie beziehen sich auf verkürzte Genehmigungsverfahren, oder auf die Einrichtung von Gerichtshöfen zum Schutz des geistigen Eigentums. Daher setzten sie ihre Ampeln auf Grün. Zwei Drittel (66 Prozent) der von der EU-Handelskammer befragten 37 Arbeitsgruppen drückten am Ende aber das Warnlicht Gelb, weil es nicht auszumachen sei, wohin Pekings Reformzug fahre, sagte EU-Kammerpräsident Jörg Wuttke.

Er stellte am Dienstag das neue Kammer-Positionspapier 2015/16 vor, das erstmals mit Ampelfarben Chinas Reformen bewertet. Es erscheint kurz vor einem kritischen Pekinger Parteitag im Oktober, der den nächsten Fünfjahresplan (2016 bis 2020) verabschieden soll und inmitten einer Wirtschaftslage, die unter starkem Abwärtsdruck steht.

Gebremste Umsetzung

Zwei Jahre, nachdem Chinas Partei und Regierung ihren umfangreichen Katalog an Reformvorhaben vorgestellt hatte, sei erkennbar, dass sich "ihre Umsetzung verlangsamt", sagte Wuttke. Die Auswertung der Ampel-Umfrage unter der EU-Wirtschaft signalisiere nicht nur den Verlust an Vertrauen in den Reformprozess. "Noch nie hat die EU-Kammer mit einer solch widersprüchlichen Regierungsagenda zu tun gehabt, die auf der einen Seite Reformen will und sich auf der anderen Seite davon abschottet." Wuttke sagte: "Ich bin sehr besorgt, dass das Momentum der Reform verloren gegangen ist."

Solche Ängste, wie es weitergeht, treiben auch die europäischen Unternehmen um, zumal sie Chinas angeschlagene Wirtschaft stark verunsichert. Am Dienstag kamen neue Hiobsbotschaften vom Außenhandel. Der fiel im Einzelmonat August gegenüber dem Vorjahresmonat um 9,7 Prozent, (darunter Importe um 14,3 Prozent). Damit ging der Gesamthandel, der einst ein Aktivposten für das Wirtschaftswachstum war, in den ersten acht Monaten 2015 um 7,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr zurück.

440-seitiges EU-Papier

Das EU-Papier stellt auf 440 Seiten mit mehr als 800 Empfehlungen die ins Stocken geratene Reformagenda auf den Prüfstand der Ampeln. Auffallend ist, wie sich die traditionellen Branchen Maschinenbau, Chemie oder Autosektor dank des einstigen Booms weiterhin noch gut schlagen und vom Reformstau wenig betroffen sind. Doch bei Auslandsunternehmen aus Bereichen, auf die es China bei der Umpolung seiner alten Wirtschaftsweise zum neuen nachhaltigen Binnenmarktmodell angeblich ankommt, wie Dienstleistungen, Kommunikation, IT, Rechtswesen, Logistik oder Finanzwesen, stehen die Ampeln meistens auf Rot. Die Unternehmen warten noch auf die Umsetzung der Reformen, oder werden durch Protektionismus von ihnen ausgeschlossen.

Wuttke nannte neben IT-Hightech als Beispiel auch den Finanzbereich, wo wegen fehlenden fairen Wettbewerbs der Marktanteil europäischer Geldinstitute am Bankengeschäft bei nur 1,7 Prozent liegt. Er forderte Chinas Führung auf, bei der Umsetzung der Reformen "Kühnheit zum Wandel" und zum marktwirtschaftlichen Handeln zu demonstrieren.

Kritische Töne

Die EU-Handelskammer ist für ihre kritischen Anmerkungen im Namen ihrer 1800 Mitgliedsfirmen zur Wirtschaftslage, dem Geschäftsklima und den immer wieder stockenden chinesischen Reformen bekannt. Das hebt sie von anderen Kammern, darunter der deutschen ab, die lieber leise Töne anschlagen. Immer im September, wenn sich die EU-Kammer mit dem Jahresbericht ihrer Arbeitsgruppen und Hunderten Empfehlungen zu Wort meldet, hören Chinas Wirtschaftsplaner, Ministerien, Industrie- und Handelsverbände genau hin.

Oft ist Reformern unter ihnen die externe aber konstruktiv gemeinte Kritik sogar willkommen, um innere Widerstände besser überwinden zu können. Zudem ist Europa der größte Handelspartner und Technologielieferant Chinas. Beide stehen vor dem Abschluss eines Investitionsschutzabkommen. Aber nur, so macht die EU-Kammer klar, wenn China der EU-Wirtschaft einen ebenso "robusten fairen Marktzugang" und "Transparenz" garantiert, wie sie Chinas Unternehmen in Europa genießen.

"Halbleeres Glas"

2013 warnte die EU-Kammer Peking zum ersten Mal, dass die "goldenen Zeiten", die einst Auslandsinvestoren nach China zogen, rasch vorbei sein werden, wenn fallendes Wirtschaftswachstum von Reformstau, teureren Standortkosten, mehr Bürokratie und ungleicher Behandlung begleitet wird. Ein Jahr später nannte die Kammer alarmiert das "Glas in China nicht mehr halb voll, sondern halb leer".

2015 sieht sie Pekings Regierung nun an das Eingemachte gehen. Statt ihre duale Erfolgsstrategie der "Reformen und Öffnung" gleichzeitig voran zu treiben, drifte sie in eine Entwicklung des "Reform and Closing" ab, des "Abschottens" nach innen. Sie riskiere damit bei ihrer wirtschaftlichen Transformation vom alten zum neuen Modell zu entgleisen. Viele Reformen kämen nur noch chinesischen Unternehmen zugute, kritisiert Wuttke: "China renoviert sein Haus neu. Aber wir wissen als Auslandswirtschaft nicht, ob man uns einlädt, mit einzuziehen, oder ob wir draußen bleiben sollen." (Johnny Erling aus Peking, 9.9.2015)