Ab den 1970ern wurde der Ruf von Dialekten schlechter. Zunehmend verbreitete sich das Vorurteil: Wer einen Dialekt spricht, hat es mit einem sozialen Aufstieg schwerer.

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Stephan Elspaß widmet sich der Bewertung von Dialekten.

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Alexandra N. Lenz sieht in sozialen Medien Potenzial.

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Wien – Über Sprache wird viel und von jeher gestritten. Aussprache, Grammatik, Wortwahl, Dialekte; was passend, korrekt oder, etwa wie im Falle von Dialekten, authentisch ist, wird leidenschaftlich diskutiert. Dass es große Unterschiede zwischen den deutschsprachigen Ländern Österreich, Schweiz und Deutschland gibt, ist offenkundig. Ebenso dass auch innerhalb dieser Länder das Deutsche je nach Region und sozialem Kontext stark variiert.

"Das Deutsche in Österreich ist keine homogene Sprache, sondern ein Bündel von Varietäten", erklärt Alexandra N. Lenz, Professorin am Institut für Germanistik der Uni Wien und Leiterin dreier Teilprojekte des Forschungsnetzwerkes "Deutsch in Österreich", das der Wissenschaftsfonds FWF im Rahmen des Programms für Spezialforschungsbereiche (SFB) kürzlich bewilligte.

Mehr Wissen über Varietäten

Neun Gruppen von Forscherinnen und Forschern aus den Disziplinen Germanistik, Computerlinguistik, Phonetik und Slawistik der Unis Wien, Graz und Salzburg werden sich eng vernetzt mit Sprachwandel und Sprachvariation in Österreich beschäftigen. Das umfasst das gesamte Sprachverhalten, dazu gehört etwa der Wechsel der Sprechweise, sobald man jemanden aus der alten Heimat wiedertrifft. Sofort sprudelt der Dialekt inklusive regionaler Spezialbegriffe wie selbstverständlich, obwohl man einige davon schon seit Jahren nicht gebraucht hat. Mit einer ähnlichen Selbstverständlichkeit wechseln viele in eine förmliche Sprechweise, sobald sie über ein weniger vertrautes Thema sprechen.

Neben diesem individuellen Sprachverhalten soll auch der generelle Sprachwandel von Sprachgemeinschaften untersucht werden, etwa der durch den Einfluss anderer Varietäten oder auch anderer Sprachen, wie des Slawischen auf das Deutsche in Österreich. "Wir wissen eigentlich noch viel zu wenig über die zahlreichen Varietäten", sagt Forschungsnetzwerk-Sprecherin Lenz. Es sei erst eine jüngere Entwicklung, dass die verschiedenen umgangssprachlichen Varietäten "oberhalb" der Dialekte sowie die Unterschiede in der Standardsprache überhaupt als solche wahrgenommen werden und diese Vielfalt empirisch erforscht wird.

"Nicht selten haben sich Sprachexperten am runden Tisch zusammengesetzt und eine Norm festgelegt, ohne dem wirklichen Sprachgebrauch ausreichend Rechnung zu tragen", meint Lenz. Erst in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren ist es in der Germanistik zunehmend Praxis, dass auch Nachschlagewerke zur Standardsprache streng empirisch auf Basis großer Korpora des Sprachgebrauchs erstellt werden. Dem Duden etwa attestiert Lenz eine starke Orientierung auf Nord- und Mitteldeutsch in Deutschland: "Bestimmte Besonderheiten, die Süddeutschland, Österreich oder die Schweiz betreffen, werden häufig als dialektal angeführt – das ist aber eine Wertigkeit, die mitunter nicht korrekt ist."

Stigma Dialekt

Mit der Bewertung von Sprache bis hin zur Diskriminierung beschäftigt sich Stephan Elspaß, Professor für Germanistische Linguistik an der Uni Salzburg und Leiter zweier Teilprojekte des SFB. Elspaß wird subjektive Eindrücke von Akzenten, Varietäten und Sprachen sowie darauf beruhende Einschätzungen an Schulen untersuchen. Stigmatisierung aufgrund bestimmter Dialekte und Varietäten war schon immer ein Problem, meint Elspaß. Ab den 1970er-Jahren wurde zunehmend das Vorurteil verbreitet, Dialekt hindere Menschen am sozialen Aufstieg. Am Beispiel der Schweiz lässt sich sehen, dass dies nicht so sein muss. Inzwischen hat die Forschung gezeigt, dass das Aufwachsen mit mehreren Varietäten sogar nützt, etwa beim späteren Fremdsprachenerwerb.

Trotzdem kann von einer generellen Anerkennung der verschiedensten Sprechweisen keine Rede sein. Als Beispiel nennt Elspaß gängige Aussagen über Dialekte oder Akzente, die manchen "hässlich" erscheinen oder in den "Ohren wehtun" würden, womit die Stigmatisierung bereits anfange. "Wir versuchen Identität über Sprache herzustellen und uns bestimmten Gruppen zuzuordnen." Dazu gehöre auch die Abgrenzung durch Sprache. Diskriminierende Konsequenzen habe das dann, wenn ein Schüler etwa für eine regionale Ausdrucksweise schlechtere Noten bekomme. Daher plädiert Elspaß für eine möglichst objektive sowie für die breite Öffentlichkeit zugängliche Darstellung der sprachlichen Vielfalt.

So sollen die in allen Teilprojekten erhobenen Sprachaufnahmen und Einstellungsdaten sowie die Auswertungen der Untersuchungen auf einer Onlineplattform nicht nur für die wissenschaftliche Community vernetzt und aufbereitet werden, sondern auch für Lehrpersonal und interessierte Laien. Geplant ist zudem ein "sprechender Sprachatlas", mit dem Proben der unterschiedlichen Dialekte und Varietäten nachgehört werden können.

Ein sicherer Beleg dafür, dass es die eine "wahre" und dauerhafte sprachliche Norm nicht gibt, ist nicht nur die Variation, sondern auch der stetige Wandel von Sprache. So breiten sich etwa für Wien charakteristische Monophthonge wie in "haaß" ("heiß") oder "wäät" ("weit") immer stärker auch in andere Teile Österreichs aus, wie Silvia Moosmüller und Hannes Scheutz zeigen konnten.

Noch genügend "Fisolen" da

Obwohl sich also laufend etwas tut, einen "Sprachverfall" können Lenz und Elspaß nicht ausmachen. "Es gibt über 2.000 Jahre alte Zeugnisse, in denen auch schon ein Verfall der Sprache beklagt wird", erzählt Elspaß. Auch für ein vermeintliches Absinken des Sprachniveaus durch die sozialen Medien, wie es aktuell häufig diskutiert wird, sehen sie keinen Beweis. "Untersuchungen haben gezeigt, dass Jugendliche problemlos in formelle Kontexte switchen können" – auch wenn sie sich eben noch per Emojis ausdrückten. In den sozialen Medien werden von Jugendlichen auch Dialekte verschriftlicht, sagt Lenz, die diese neuen Kommunikationskanäle als Ressource zur Erweiterung des Sprachgebrauchs sieht.

Das "österreichische Deutsch" müsse immer mehr dem "bundesdeutschen Hochdeutsch" Platz machen, lautet eine weitere Sorge. Doch auch hier geben die beiden Forscher Entwarnung: Eine Untersuchung auf Basis des Austrian Media Corpus der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) hat ergeben, dass in der österreichischen Pressesprache noch immer vorwiegend von "Topfen" statt von "Quark" oder von "Erdäpfeln" statt von "Kartoffeln" die Rede ist. Jene 23 geschützten Austriazismen, die im EU-Beitrittsprotokoll festgehalten wurden, werden nach wie vor verwendet: In den letzten 20 Jahren verringerten sie sich um nur vier Prozent. Die "Powidln" oder "Fisolen" existieren also weiter. (Beate Hausbichler, 10.9.2015)