Der Islam ist in einer gewalttätigen Identitätskrise, die ganze Staatensysteme auseinandersprengt. Trotz dummer, ahnungsloser und zum Teil verbrecherischer Interventionen des Westens ist es im Kern ein innerislamischer Bürgerkrieg.

Und zwar an Europas Türschwelle. Die zehntausenden Flüchtlinge überwiegend aus den Bürgerkriegsländern Syrien und Irak, die unglaubliche Strapazen und Todesgefahren auf sich nehmen, um in (Nord-)Europa ein neues Leben zu beginnen, sind jetzt unser Problem.

Aber die Flüchtlinge sind die eine Sache, die andere ist der Zerfall der Staatenwelt im Nahen Osten. Dass sich das durch Abschottung, durch Zäune mit Rasierklingendraht ("Stachel"draht ist schon technologisch gestrig) aussperren lasse, glauben nur der Westentaschen-Putin Viktor Orbán und unser H.-C.

Aber selbst wenn Europa die Flüchtlinge draußen hält, was tut es gegen die wirtschaftlichen und politischen Folgen, wenn an der Ost- und Südküste des Mittelmeers der Neandertaler-Islam des IS die Oberhand behält? Syrien, Irak und der Jemen haben de facto kein geschlossenes Staatsgebiet mehr. Ein Sortiment von blutrünstigen Warlords beherrscht mit seinen Banden jeweils ein bestimmtes Gebiet. Der Libanon und Jordanien sind extrem gefährdet. In Ägypten werden die Muslimbrüder, die zuvor die Wahlen gewonnen haben, nur mit Gewalt niedergehalten, in Tunesien, Algerien, Marokko herrscht fragile "Ruhe".

Ärger noch, dem "Stabilitätsanker" Türkei ist es unter dem großen Erdogan gelungen, sich mit dem Virus anzustecken. Erdogan wollte Assad stürzen, ließ deshalb unter anderem den IS in Syrien gewähren. Weil er ein Übergreifen der kurdischen Separationsbewegungen in Syrien und im Irak auf die Türkei fürchtet, gibt er seine Aussöhnung mit den Kurden auf und fängt wieder einen Krieg im eigenen Land an.

Schuld ist natürlich der Westen. Heißt es. Der Westen, die USA, haben schon etwas damit zu tun. Aber nur hartgesottenste Verschwörungstheoretiker können glauben, dass dies alles das Werk der USA ist: In Syrien erhoben sich teils gemäßigte Sunniten gegen die Alawiten-Minderheitsdiktatur Assads. Der schlug blutig zurück. Daraufhin Radikalisierung mit Nutznießern wie die diversen Jihadisten bis zum IS der Sunniten, die werden von den wahhabitischen (ultrakonservative Sunni) Saudis unterstützt, dafür stützt der schiitische Iran Assad und benutzt dabei die Hisbollah-Milizen im Libanon. Was die Saudis wiederum treibt, die Huthis im Jemen zu bekämpfen, die ihrer Meinung nach vom Iran abhängig sind.

Deutschland, Frankreich, Österreich, Belgien, die Niederlande, Schweden haben nennenswerte muslimische Minderheiten. Die Wirtschaftsbeziehungen mit den zerfallenden Staaten sind beträchtlich, die Transitrouten bedeutend. Diese Region trägt jetzt einen dreißigjährigen Religionskrieg (mit ethnischen Untertönen) aus.

Das verlangt nach einer überlegten Reaktion, nach Maßnahmen: humanitär, wirtschaftlich, aber auch geheimdienstlich und militärisch. Aber es verlangt auch nach einem Umdenken der Bürger: Die Decke über den Kopf ziehen hilft nichts. Der innermuslimische Bürgerkrieg an unserer Türschwelle wird uns lange zu schaffen machen. (Hans Rauscher, 8.9.2015)