Bild nicht mehr verfügbar.

Adipositas ist kein Mangel an Selbstdisziplin, sondern sollte als ernstzunehmende Erkrankung definiert werden, sagt Claudia Luck-Sikorski von der Uni Leipzig.

Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Leipzig – Je größer das Übergewicht, desto stärker die Diskriminierung: Diesen Schluss legt die repräsentative Studien des Integrierten Forschungs- und Behandlungszentrum (IFB) für Adipositas-Erkrankungen der Universität Leipzig nahe. Die wichtigsten Ergebnisse: Während bei Übergewicht nur 5,6 Prozent der 3.000 Befragten von Diskriminierung berichten, sind es bei leichter bis mittlerer Adipositas 10 bis 18 Prozent und bei schwer adipösen Menschen rund 40 Prozent.

Die Zahlen beruhen auf den Selbstauskünften der Studienteilnehmer auf die Frage, ob sie schon einmal Benachteiligung aufgrund ihres Körpergewichts erlebt haben. Claudia Luck-Sikorski, Leiterin der IFB-Forschungsgruppe betont, "dass in dieser Studie zum ersten Mal das Ausmaß gewichtsbedingter Diskriminierung in Deutschland deutlich wurde. Es handelt sich also nicht nur um ein Einzelphänomen, sondern betrifft vor allem Frauen mit höherem Gewicht. Während 7,6 Prozent der Männer mit Adipositas über gewichtsbedingte Diskriminierung berichten, ist dieser Wert bei Frauen mit 20,6 Prozent ungleich höher."

Europäische Gesetzgebung

"Diskriminierung ist die Benachteiligung einer Gruppe von Menschen mit bestimmten Merkmalen. Dazu zählen zum Beispiel Herkunft, Geschlecht, sexuelle Orientierung, Alter oder Behinderung", erklärt die dänische Rechtswissenschaftlerin Mette Hartlev. "Die aktuelle Untersuchung zeigte nun für Deutschland, dass auch Adipositas dazu gehört. Ähnlich wie in den Bestrebungen zur rechtlichen Gleichstellung von Mann und Frau, Behinderten und Nicht-Behinderten, müssten wir heute über gesetzliche Regelungen für adipöse Menschen nachdenken", ergänzt die Expertin.

In Dänemark wurde die Diskussion darüber durch den Fall eines adipösen Tagesvaters, der Kleinkinder betreute und dem nach 15-jähriger Tätigkeit gekündigt wurde, angefacht. Er klagte dagegen. Die Begründung: Diskriminierung aufgrund seines Übergewichts. Das dänische Gericht wendete sich an den Europäischen Gerichtshof (EuGH).

Da es im EU-Recht kein Diskriminierungsverbot aufgrund von schwerer Adipositas gibt, müsse im Einzelfall geprüft werden, ob die Berufsausübung beeinträchtigt ist. Starke Adipositas könne im Einzelfall als Behinderung anerkannt werden, so der EuGH. In solchen Fällen greife die EU-Richtlinie über die Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf.

Adipositas als Krankheit anerkennen

"Solche Fälle wie in Dänemark kommen auch in Deutschland vor. Sie sind aber nur die Spitze des Eisbergs", betont Luck-Sikorski. "Das zugrundeliegende Problem ist die negative Meinung und ablehnende Haltung gegenüber Menschen mit Adipositas. Diese Stigmatisierung führt letztlich zu Diskriminierung", ergänzt die Forscherin.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO erkennt Adipositas seit dem Jahr 2000 als chronische Erkrankung an. In den USA ist dies seit 2013 der Fall. In Deutschland definiert die Bundesärztekammer Adipositas lediglich als Risikofaktor für weitere Erkrankungen. Luck-Sikorski zufolge müsste Adipositas als ernstzunehmende Erkrankung definiert werden. – Das könnte die Voraussetzung schaffen: Für eine differenzierte Wahrnehmung von Adipositas. (red, 9.9.2015)