Wien – Den letzten Schritt geht Staatsanwalt Markus Berghammer dann doch nicht. Er fordert keinen Freispruch für den Angeklagten Stefan G., der als Security Ende April einem Gast den Schildknorpel gebrochen und ihn so schwer verletzt haben soll. Aber der Ankläger bietet Richterin Claudia Moravec-Loidolt alle Argumente für so eine Entscheidung.

Es geht um einen mehr feuchten als fröhlichen Polterabend in der Bettelalm in der Wiener Innenstadt. Magister A., der Verletzte, war der Trauzeuge. Laut Aussagen anderer Türsteher war die Gruppe schon bei der nächtlichen Ankunft so laut, dass man sie zunächst nicht hineinlassen wollte. "Der Betriebsleiter hat dann gesagt, wir sollen sie lassen, ich habe aber zur Sicherheit gleich den Ausweis von dem fotografiert", sagt ein Zeuge.

Bulliger Angeklagter

Der 25-jährige, 1,86 Meter große, bullige Angeklagte hat davon zunächst nach seinen Angaben nichts mitbekommen, da er im Untergeschoß Dienst versah. "Ich bin an der Tür zwischen Raucher- und Nichtraucherbereich gestanden", erzählt er. "Auf welcher Seite?", fragt die Richterin. "Dazwischen. Sie war offen." – "Ganz im Sinne der Rauchergesetze", kann sich Moravec-Loidolt nicht verkneifen.

A. sei ihm aufgefallen, als der sich mit einer Dame unterhielt. Die Frau habe aus seiner Sicht genervt gewirkt, der Angeklagte ging zu dem Mann und sagte, er belästige die Dame. "Da hat er genickt und nichts weiter gemacht." Kurz darauf sei allerdings auch ein Kellner zu ihm gekommen und habe neuerlich von einer Belästigung gesprochen.

"Ich bin zu ihm und habe gesagt, wir gehen jetzt rauf und unterhalten uns." A. habe sich sehr viel Zeit gelassen, als er ihn am Unterarm nahm, habe der mit der rechten Hand ausgeholt, worauf ein zweiter Security kam und die beiden ihn hinaufeskortierten.

Beim Abgang angespuckt

"Wie?", will die Richterin von dem Unbescholtenen wissen. "Jeder hat einen Arm gehalten, wir sind dann die Stiegen hinauf. Er hat sich dann noch einmal am Geländer festgehalten, hat geschrien und geschimpft." Oben hätten ihn dann die Türsteher übernommen und hinauskomplementiert. "Er hat mich dort auch angespuckt." Dass A. Blut im Mundbereich hatte, habe er bemerkt, er habe aber gedacht, A. habe sich auf die Lippen gebissen.

Fest steht, dass der Verletzte vier Tage nach dem Vorfall bei einer Amtsärztin war, die ihn ins Spital überwies, wo der Bruch des Schildknorpels festgestellt wurde, der sofort operiert werden musste.

Doch die Frage, wie es zu der Verletzung gekommen ist, beantwortet er mit einer ganz anderen Geschichte. Genauer, drei anderen. Seine Version vor Gericht: "Der Abend verlief friedlich, dann wurde ich plötzlich aufgefordert, das Lokal zu verlassen."

Opfer im Nadelstreif

A., großgewachsen und im Nadelstreifanzug erschienen, drückt sich außergewöhnlich gewählt aus. "Ich bin meiner Wahrnehmung nach der Anweisung nicht sofort gefolgt", sagt er beispielsweise.

"In welchem Zustand waren Sie, Herr Magister?", will Moravec-Loidolt wissen. "Betrunken", gibt er zu. "Aber ich war der Meinung, dass ich mich an alles erinnern kann. Erst im Nachhinein habe ich erkannt, dass ich doch mehr getrunken habe."

Das ist ein ziemliches Problem. Denn unmittelbar nach der Tat hat er vor dem Lokal Polizisten zunächst gesagt, es sei nichts passiert, und wollte sogar weggehen. Nicht ohne gegenüber den Beamten zu erwähnen: "Ich will mit euch Trotteln nix reden!"

Einen Monat später schilderte er bei der Polizei, er sei grundlos und ohne Vorwarnung von zwei Securitys gepackt, im Würgegriff die Stiegen hinaufgeschleppt und dann brutal hinausgeworfen worden. Dabei müsse er am Hals verletzt worden sein.

Video widerlegt Aussage

Das Dumme für ihn: Erst nach seiner Aussage wurde das Überwachungsvideo des Lokals ausgewertet. Und auf diesem ist nicht einmal ansatzweise zu sehen, dass jemand in die Nähe seines Halses kommt.

Also erzählt er nun die dritte Version: Er sei erst oben, wo es keine Kameras gibt, in den Würgegriff genommen worden. Und es sei "hundertprozentig der Angeklagte gewesen". Dieser Griff sei für ihn auch der maßgebende Vorfall an diesem Abend gewesen.

Warum er das nicht sofort der Polizei gesagt habe, will die Richterin wissen. "Daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Wahrscheinlich, da sich die Nase zu Wort gemeldet hat", verwendet er ein etwas schiefes Bild.

"Waren Sie wütend?", fragt Moravec-Loidolt. "Ich war gefügig. Aber natürlich nicht erfreut." An Beschimpfungen, wie sie die anderen Türsteher und die Polizisten bezeugen, habe er keine Erinnerung. "Lesbe" und "Du bist a schwoche Oide" soll er beispielsweise zur Polizistin geschrien haben. "Es ist möglich, dass ich nach dem Würgen meine gute Elternstube vergessen habe."

Telefonnummern ausgetauscht

Sowohl A.s Begleiter als auch die angeblich Belästigte sagen für ihn aus. Grundlos hinausgeworfen, die Frau betont sogar, dass sie vor seinem Abgang noch Telefonnummern ausgetaucht hätten. Aber Schläge oder Würgen hat niemand von ihnen beobachtet.

Auch die Ex-Kollegen von G. haben keine Gewalt bemerkt, untermauern seine Version. Opfervertreter Rudolf Mayer versucht zwar aggressiv Diskrepanzen zwischen deren Aussagen bei der Polizei und den jetzigen herauszuarbeiten, doch nur bei einem Zeugen gelingt ihm das ansatzweise.

Staatsanwalt Berghammer gesteht in seinem Schlussplädoyer ein: "Vielleicht hat ihn der Angeklagte gewürgt, vielleicht nicht." Fix sei nur, dass A.s Aussagen vor der Polizei und vor Gericht einfach nicht übereinstimmen und das Video seine ursprüngliche Version eindeutig widerlegt. Verteidigerin Birgit Harold hat dem wenig hinzuzufügen, und auch Moravec-Loidolt sieht es so und spricht G. rechtskräftig frei.

"Aber lassen S' das mit dem Türstehen", gibt sie ihm noch mit auf den Weg. Der hat das schon gemacht und den Nebenjob aufgegeben. (Michael Möseneder, 9.9.2015)