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Kein Krieg! Demonstranten vor dem japanischen Parlament in Tokio protestieren gegen eine Änderung der Verteidigungsdoktrin ihres Landes. Unterstützung bekommen sie aus den Reihen der Opposition.
Mit jeder Woche, die die Abstimmung im japanischen Oberhaus über die künftigen Einsatzmöglichkeiten der japanischen Selbstverteidigungsstreitkräfte näherrückt, intensiviert sich die Auseinandersetzung um das Gesetzesvorhaben. Premierminister Shinzo Abe strebt eine Wende in der bisher strikt defensiv ausgerichteten Verteidigungspolitik des Landes an. Soldaten sollen demnach auch in Auslandskampfeinsätze entsandt werden können. Setzt sich die Regierungskoalition durch, ist der Pazifismusparagraf der japanischen Verfassung weitgehend ausgehöhlt.
Vor einigen Tagen protestierten Japaner an 350 Orten gegen die Gesetze. In Tokio sollen es Medienberichten zufolge 120.000, in Osaka 25.000 Menschen gewesen sein. Davor hatte der ehemalige Vorsitzende des Obersten Gerichtshof in Japan, Shigeru Yamaguchi, die geplanten Gesetze als verfassungswidrig bezeichnet; die politisch traditionell zurückhaltende Vereinigung der japanischen Rechtsanwälte wandte sich ebenfalls gegen deren Verabschiedung.
Abstimmung nächste Woche
Die Führer der fünf Oppositionsparteien versuchen, bei der Verhinderung der Gesetze an einem Strang zu ziehen. Die Abstimmung ist für die kommende Woche geplant. Danach dürfte eine Entscheidung wegen der geplanten Reise des Premiers zur UN-Vollversammlung kaum mehr möglich sein: Die schon zuvor verlängerte Parlamentsperiode endet am 27. September, bis zu diesem Zeitpunkt müssen die Gesetze beschlossen werden.
Mit der Einbringung eines Misstrauensvotums gegen den Premierminister wird die Opposition versuchen, die Verabschiedung der Gesetze weiter hinauszuzögern und letztlich zu Fall zu bringen. Zumindest vorerst hilft ihr dabei das sich langsam schließende Zeitfenster: Werden die Gesetze nicht bis Ende des Monats verabschiedet, müssen sie in der nächsten Parlamentsperiode neu verhandelt werden.
Zwar könnte die Regierung im Falle einer gescheiterten oder verhinderten Abstimmung im Oberhaus die Gesetze mit ihrer Zweidrittelmehrheit im Unterhaus in einer zweiten Abstimmung durchsetzen – nicht nur in Japan ein legales Mittel, um ein Votum des Oberhauses zu überstimmen. Die Regierung jedoch scheut sich, zu diesem Mittel zu greifen, um nicht den Eindruck zu erwecken, die Gesetze mit Brachialgewalt gegen parlamentarischen Widerstand durchsetzen zu wollen.
Abe als Vorsitzender bestätigt
Im Schatten der Debatte um die Verteidigungspolitik des Landes stand auch die Entscheidung über den Parteivorsitzenden der regierenden Liberaldemokraten (LDP) am Dienstag: Premierminister Shinzo Abe wurde in seinem Amt als Parteichef ohne Wahl bestätigt, nachdem seine Gegenkandidatin Seiko Noda unter den LDP-Parlamentariern nicht die notwendigen 20 Unterstützer für eine Kandidatur gefunden hatte.
Hintergrund: Eine formelle Vorsitzwahl hätte am 20. September stattgefunden. Der Parteivorsitzende ist in Japan immer auch Premierminister. Ein Vorsitzwahlkampf im September hätte die Vorbereitungen auf die entscheidende Abstimmung über die Verteidigungsgesetze massiv gestört. Daher unternahm die LDP-Führung alles, um eine formelle Wahl zu verhindern, und schwor ihre Abgeordneten darauf ein, Noda die Unterstützung zu verweigern.
Nach der Bestätigung als Parteichef erklärte Premier Abe, er wolle sich nach der Verabschiedung der Verteidigungsgesetze ganz auf die Erholung der Wirtschaft und die Erhöhung der Geburtenrate konzentrieren. Die meisten Ökonomen gehen aber davon aus, dass er nicht die nötigen Strukturreformen – vor allem des Arbeitsmarktes – angehen will, sondern dass er die im letzten Quartal um 1,2 Prozent geschrumpfte Wirtschaft mit neuem Geld beleben möchte.
Höheres Militärbudget
Außer der Grundsatzentscheidung über die künftige Verteidigungspolitik will Japan das vierte Jahr in Folge auch seinen Wehretat aufstocken, um seine militärische Präsenz im Ostchinesischen Meer auszubauen. Unter anderem sollen Stützpunkte auf japanischen Inseln vergrößert werden, wie aus Regierungsunterlagen hervorgeht. In der Region liegen auch unbewohnte Inseln, um deren Vorherrschaft Japan und China streiten. (Siegfried Knittel aus Tokio, 10.9.2015)