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Wiens größte Partei nimmt für sich in Anspruch, "für Wien a G'spür" zu haben.

FOTO: APA/HERBERT PFARRHOFER

In ein paar Wochen wählt Wien, und ich weiß noch immer nicht, was ich wählen soll. Ich gehöre zu den parteipolitisch Heimatlosen. Die Partei, die mir glaubwürdig das beste Angebot macht, bekommt meine Stimme.

Das klingt vielleicht egoistisch. Aber ich schätze, nach diesem Prinzip wählen fast alle. Und es ist nicht einmal das Schlechteste. Auf eine, zugegeben verkürzte, Formel gebracht: Wählermaximierung trifft Nutzenmaximierung. Es gibt wahrscheinlich Ausnahmen. Menschen, die ihre Stimme einer Partei geben, die sich für Dinge einsetzen, die sie nicht unmittelbar betreffen, die ihnen aber wichtig sind. Naturschutz. Aber ist nicht eine gesunde Natur im Interesse aller? Bildung sollte auch nicht nur denen ein Anliegen sein, die ihre Kinder gerade in der Schule haben, sondern auch Kinderlosen. Immerhin bezahlen die später einmal unsere Pensionen.

Ein Kompromiss

Insgesamt gesehen ist Eigennutzen nicht der schlechteste Berater bei Wahlentscheidungen, finde ich. Am Ende kommen meistens ein Kompromiss und eine mehrheitsfähige Regierung heraus, was wieder zu einem gewissen Interessenausgleich führt.

Nur, wer vertritt meine Interessen? Ich gehöre anscheinend keiner Klientel an. Zumindest keiner politisch interessanten. Als Bauer wüsste ich wahrscheinlich, wem ich meine Stimme geben würde. Oder als Beamter. Mein Pech, dass ich ASVG-Angestellter bin, mit Familie. Ich bezahle meine Steuern mehr oder weniger gern. Wenn ich sehe, dass mit dem Geld Sinnvolles gemacht wird, tue ich das gern, wenn nicht, mit Zähneknirschen. Ich kann's mir nicht aussuchen.

Was ich mir aussuchen kann, ist, einer Partei alle paar Jahre meine Stimme zu geben.

Für Wien brauchst a G'spür

Wiens größte Partei nimmt für sich in Anspruch, "für Wien a G'spür" zu haben. Der wienerische Duktus signalisiert Volksnähe. Dazu ein Bürgermeister, im Photoshop verschlankt. Wünscht sich nicht seine Parteigenossin Gabriele Heinisch-Hosek eine Kennzeichnung bildbearbeiteter Frauenkörper? Da hat Michael Häupl ja noch mal Glück, in einem Männerkörper zu stecken. Und was das "G'spür für Wien" angeht, beschleicht mich eher das Gefühl, dass sie das G'spür für Macht hat, das diese Partei seit Jahrzehnten pflegt. Weniger volksnah ist dann die Bürgermeistergage. Mit 240.000 Euro im Jahr liegt Häupl weltweit im Spitzenfeld. Das Teure daran ist, dass diese Maßlosigkeit den Umgang mit öffentlichen Geldern widerspiegelt. Darf man sich als Wähler und Steuerzahler wünschen, dass Politiker mit dem Steuergeld so umgehen, als wäre es ihr eigenes? Oder, noch besser, das hart verdiente Geld anderer? Ich wünsche es mir. Dann wäre es, ich gehe jede Wette ein, mit dem Ersparten ein Leichtes, Armut und soziale Ungerechtigkeiten wirkungsvoll zu bekämpfen.

Rettet die Wahlen

Wenn's nach dem Werbeauftritt geht, sind die Grünen mein Favorit. Hier hat man wenigstens nicht das Gefühl, verarscht zu werden. Leider trägt Werbung weniger zur Wahlentscheidung bei, als sich das manche wünschen. Oder zum Glück. Wenn die Turnschuhe nichts taugen, nützt der geilste Spot nichts. Ich frage mich, wie kann man seine eigenen Wahlversprechen, wie zum Beispiel eine Wahlrechtsreform, so leichtfertig aufgeben? Oder dem Koalitionspartner eine Garantie zur Weiterführung dieser Koalition abringen wollen, bevor der Wähler gesprochen hat? Schmeckt die Macht so süß? Genügt schon die Gefahr, sie zu verlieren, für einen kalten Entzug?

Aus Liebe zu Wien

Nach der "Oktober 'Revolution'" entdecken die Blauen ihre "Liebe zu Wien". Darunter das Grinsen ihres Spitzenkandidaten, das vor allem eines zeigt: seine Liebe zu sich selbst. Man ist ja einiges gewohnt, wenn's um Dauergrinser geht. Aber so falsch und schleimig, das muss man erst einmal zusammenbringen.

"Kurswechsel jetzt", ja, das hätte sie gern, die ÖVP, mit zwei Rufzeichen. Schwarz statt Grün. Und den neuen alten Juniorpartner noch billiger geben. Oder hat die jüngste Vergangenheit etwas anderes gezeigt?

Aufbegehren bis Gratis-Öffis

Neben den im Gemeinderat vertretenen Parteien stehen noch ein paar Listen zur Auswahl. Wien Anders winkt mit "bedingungslosem Grundeinkommen" und Öffis zum Nulltarif. WWW (Wir wollen Wahlfreiheit) für mehr direkte Demokratie. Eine türkische Liste tritt an, "um den Rechtsruck zu stoppen". Die Neos wollen "g'scheite Kinder statt g'stopfte Politiker" und sorgen gerade für Beschäftigung bei der Wiener Werbewatchgroup mit einer Sexismusklage gegen das grüne Bussi-Plakat.

Aber wie's ausschaut, bestimmt ein Thema den Wahlausgang: die Flüchtlingsfrage. Der Wahlkampf wird auf dem Rücken der Ärmsten von den Ärmsten ausgetragen. Mir kommt das ziemlich verlogen vor. Und bequem für manche Politiker – übrigens beider Seiten. Es lenkt ab von nicht vorhandenen Ideen. Von Problemen, die man nicht lösen kann oder will oder beides. Soll ich aufzählen? Arbeit, leistbares Wohnen, Bildung, Reformen ... Wir alle kennen diese Schlagwörter. Sie werden alle fünf Jahre ausgepackt, plakatiert, mantraartig runtergebetet. Nur getan wird nichts.

Ich möchte am 11. Oktober meine Stimme nicht wegschmeißen. Leicht wird es nicht. (Günter Klinger, 10.9.2015)