Mollivirus sibericum ist bereits das zweite im sibirischen Permafrostboden entdeckte Riesenvirus.

Foto: IGS CNRS / AMU

Paris/Wien – Normalerweise lassen sich Viren nicht mit einem herkömmlichen Mikroskop untersuchen. Aufgrund ihrer geringen Größe von nur wenigen Nanometern waren Viren bis vor wenigen Jahren allenfalls mit dem Elektronenmikroskop zu erkennen – bis Forscher im Jahr 2003 in einem Kühlturm im nordenglischen Bradford erstmals ein Virus von geradezu gigantischen Dimensionen entdeckten: 0,7 Mikrometer maß der kuriose Erreger, und sein Erbgut umfasste zudem über eine Million Basen, was mehr ist, als so manche Bakterien in ihren Genomen besitzen.

Mittlerweile kennt die Wissenschaft einige weitere virale Giganten, darunter auch die sogenannten Pandoraviren, die vor zwei Jahren aus dem Sediment eines Flusses in Chile und einem Tümpel nahe der australischen Stadt Melbourne gefischt wurden. Zuletzt erwies sich auch der sibirische Permafrostboden als Refugium derartiger Virusriesen: Im März vergangenen Jahres hat eine französische Forschergruppe dort den Vertreter einer dritten Gattung von riesigen Viren isoliert und zu neuem Leben erweckt.

Nun ist es demselben Wissenschafterteam rund um Jean-Michel Claverie vom Centre national de la recherche scientifique (CNRS) gelungen, eine vierte bisher unbekannte Spezies dieser Virusgiganten im Nordosten Sibiriens aus dem Permafrostboden zu bergen. Die Wissenschafter haben vor, auch diese seit rund 30.000 Jahren im gefrorenen Erdreich schlummernde Art wieder auferstehen zu lassen.

Bevor allerdings die Mollivirus sibericum getaufte Spezies aus ihrem Schlaf erweckt wird, wollen die Forscher Tests durchführen, um sicherzugehen, dass der Erreger keine Gefahr darstellt.

Was die französischen Experten bei bisherigen Untersuchungen des Erregers besonders erstaunte, ist die genetische Ausstattung der Riesenviren. Auch Mollivirus sibericum verfügt über ein überraschend umfangreiches Genom, wie sie im Fachjournal PNAS berichten: Insgesamt 500 Gene zählten die Wissenschafter. Zum Vergleich: Grippeviren vom Typus Influenza-A besitzt nur acht Gene.

Gefahr aus dem Permafrost

Die Bedrohung, die von solchen Viren ausgeht, sei nicht zu unterschätzen, warnen die Forscher. Der Klimawandel macht die arktischen und subarktischen Regionen für den industriellen Bergbau zunehmend attraktiver. Das schmelzende Polareis eröffnet neue Wege zu Landstrichen, die bisher unzugänglich waren – und die in den vergangenen Jahren entdeckten Virusarten lassen darauf schließen, dass in den dortigen Böden noch so einiges verborgen ist, das dem Menschen durchaus gefährlich werden könnte.

"Einige wenige Viruspartikel könnten in Kombination mit entsprechenden Wirten ausreichen, um pathogene Erreger zu verbreiten", meint Claverie. "Wenn wir bei der industriellen Nutzung dieser Regionen nicht vorsichtig genug vorgehen und entsprechende Vorkehrungen treffen, kann es durchaus passieren, dass wir eines Tages Viren aufwecken, darunter etwa auch Pockenerreger, die wir schon längst für ausgestorben hielten." (Thomas Bergmayr, 9.9.2015)