Ankara – Im Konflikt zwischen der Türkei und der kurdischen Untergrundorganisation PKK hat die Kurdenpartei HDP vor einem Bürgerkrieg gewarnt. Der Konflikt drohe zu eskalieren, erklärte die HDP am Donnerstag. Bei Demonstrationen türkischer Nationalisten gegen die PKK war es am Dienstag zu massiven Ausschreitungen gekommen. Kurdische Bürger und Geschäfte wurden Ziel von Gewalttaten, die Polizei nahm 93 Menschen fest.
Seit dem Scheitern eines Waffenstillstands zwischen Regierung und PKK Ende Juli eskaliert die Gewalt. Die HDP wurde laut eigenen Angaben ebenfalls zum Ziel: Parteibüros seien von Nationalisten angegriffen worden.
Neuwahlen
Bei der Parlamentswahl im Juni übersprang die Partei erstmals die Zehn-Prozent-Hürde. Die regierende islamisch-konservative AKP verlor dabei ihre Parlamentsmehrheit. Nach dem Scheitern von Koalitionsgesprächen sollen am 1. November Neuwahlen stattfinden.
HDP-Führer versuchten unterdessen mit einem friedlichen Protestmarsch einen Bezirk im Südosten des Landes zu erreichen, der seit einer Woche militärische Sperrzone ist. Sicherheitskräfte stoppten die Demonstranten vor der 120.000-Einwohner-Stadt Cizre. Laut Angaben der HDP wird der Sperrbezirk nicht ausreichend mit Lebensmitteln, Trinkwasser und Elektrizität versorgt. Zudem berichtete die Partei, dass 20 Zivilisten in der vergangenen Woche in der Gegend ums Leben gekommen seien. Acht seien allein am Mittwoch getötet worden.
Ausgangssperre
"Wir verlangen die Aufhebung dieser illegal errichteten Blockade. Die Ausgangssperre soll beendet werden," sagte HDP-Führer Selahattin Demirtas. Videobilder aus Cizre zeigen verlassene Straßen und die Spuren von Kämpfen. "Um ihre Sicherheit und Ruhe zu garantieren, dürfen sie [die Demonstranten] keinesfalls nach Cizre reinkommen. Das werden wir nicht zulassen", sagte Innenminister Selami Altinok auf einer Pressekonferenz in Ankara. Bei Polizeieinsätzen in der Gegend seien zehn mutmaßliche Untergrundkämpfer festgenommen sowie Waffen, Munition und Sprengsätze konfisziert worden.
"Sie [die Regierung] haben Angst, dass die Dinge, die dort passieren, ans Licht kommen werden. Aber sie werden trotzdem ans Licht kommen. Nichts kann geheim bleiben," sagte der HDP-Abgeordnete und Demonstrant Saruhan Oluc der Deutschen Presse-Agentur am Telefon. "Wir versuchen, sowohl die PKK als auch den türkischen Staat zu einer Beendigung dieses gewaltsamen Konflikts zu bewegen," hieß es in einer HDP-Stellungnahme. Darin weist die pro-kurdische Partei die Schuld an den Gewalttaten der AKP zu und bittet die internationale Gemeinschaft um Hilfe für einen neuen Waffenstillstand.
Der Friedensmarsch ist eine Herausforderung an Präsident Recep Tayyip Erdogan, der der HDP wiederholt eine Verbindung zur illegalen PKK unterstellt hat. "Wer auf der Seite der Terroristen ist, muss den Preis dafür zahlen," sagte Erdogan nach einem Treffen mit dem EU-Ratspräsidenten Donald Tusk – vermutlich mit Bezug auf die HDP. Erdogan warf Demirtas zudem vor, "die Sprache der Terroristen" zu benutzen. Tusk betonte die Notwendigkeit, den Friedensprozess wieder in Gang zu setzen und verurteilte die "Terrorattacken" in dem Land.
Unterdessen hat die Türkei die niederländische Journalistin Frederike Geerdink des Landes verwiesen, die seit Jahren im kurdisch geprägten Südosten der Türkei lebt und arbeitet. Sie hatte über die eskalierende Gewalt zwischen Regierungstruppen und Kämpfern der kurdischen Untergrundorganisation PKK berichtet. (APA, Reuters, 10.9.2015)