Hanne Darboven hatte auch "eine Art von Losigkeit entwickelt", schrieb die Hamburger Zeit in ihrem Nachruf auf die 2009 verstorbene Konzeptkünstlerin, eine Tochter der Hansestadt. Die Inhaltslosigkeit und die Form-, ja die Raumlosigkeit, die der Maler Ad Reinhardt der "besten Kunst" attestiert hatte, die hatte sie verinnerlicht, schuf Kunst, die weder Sinn noch Schönheit und schon gar keinen Ausdruck von Gefühl versprach. Schließlich hatte man Darboven schon an der Hochschule mit dem Satz "Alles ist bereits gemalt" ernüchtert. Vielleicht verlegte sie sich deshalb darauf, das darzustellen und auf Papier zu bannen, was sich nicht bannen lässt: Zeit.
Die unbewusst verrinnende Zeit erhielt in ihren schier endlosen Notationen, den Buchstaben- und Zahlenkolonnen, Sichtbarkeit in Form einer logischen Struktur. Die Basis ihrer später ausgefeilteren Codierungen waren etwa die Quersummen aus kalendarischen Datumsangaben. Begonnen hatte sie damit in New York, wo sie die Jahre 1966 und 1967 verbrachte und den Minimalismus von Carl Andre und Sol LeWitt kennenlernte.
Zahlenoperationen, rhythmische Linien und Durchstreichungen
Am bekanntesten ist Darboven für diese auf Zahlenoperationen, rhythmischen Linien oder Durchstreichungen beruhenden Schreibzeichnungen; mit höchster Disziplin füllte sie hunderttausende Blätter. Mit solchen charakteristischen Arbeiten startet auch die Schau zum Werk der Künstlerin in der Galerie Crone Wien (zwei größere Ausstellungen sind aktuell in München und Bonn zu sehen): ein Stundenbuch von 1991, Seite für Seite abfotografiert, das sie mit "Hanne und Micky III" signierte. Micky war eine der Ziegen, mit denen sie lebte.
Mit Hanne Darboven, die seit 1983 von der ursprünglich in Hamburg situierten, nun hauptsächlich in Berlin operierenden Galerie vertreten wird, sagt man nun: Hallo Wien! Die Affinität zur Stadt ist über Markus Peichl gegeben, denn der ehemalige Wiener-Chefredakteur und einstige Tempo-Gründer (und Sohn von Architekt Gustav Peichl) leitet die Galerie.
Der Kern der kleinen, sehr klaren Ausstellung, deren dritter Teil ein privatere Einblicke gewährender Film ist, ist aber eine Gruppe bisher nie gezeigter Modelle – eine Leihgabe der Darboven-Stiftung. Sie wurden erst 2009, kurz vor Darbovens Tod realisiert und basieren auf den Konstruktionen, die 1966 in New York entstanden. Die Linien auf den Blättern variieren die Anordnung von Wänden in einem Raum schier endlos. Insbesondere die Modelle schüren den Wunsch, eines dieser rhythmischen Raumlabyrinthe einmal in 1:1-Dimensionen zu erleben. (Anne Katrin Feßler, 11.9.2015)