Zukunftsforscher Matthias Horx denkt nach über die Frage, was nach der Ära des Burnout kommt. Dabei tut er das, was andere sonst mit ihm machen, wenn er die Zukunft anhand von Megatrends extrapoliert, Begrifflichkeiten und Kunstworte zusammenbastelt: Er macht sich lustig: Was solle bei sinkenden Burnout-Diagnosen bloß aus den Talkshows werden, in denen nervlich zerrüttete, von Prekarisierung gefolterte Zombies des Spätkapitalismus diskutieren, fragt er in einem Blog. Und weiter: "Allerdings ist durchaus ein Ersatz für diese Modekrankheit, die gleichzeitig eine Art modernes Adelsprädikat darstellt, in Sicht."

Psychische Erkrankungen sind Hauptursache für Arbeitsunfähigkeit in der Gruppe der 15- bis 50-Jährigen.
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Die neue Modekrankheit?

Sinnstress heißt der Begriff, den der Soziologe Heinz Bude rund um sein Buch Gesellschaft der Angst in die Debatte gebracht hat und den Horx zynisch zerpflückt. Kurz: Gescheitert ist, wer sich nicht dauernd selbst optimiert, wer nicht alles, was passiert, zu sich selbst in Verbindung und Resonanz setzt, wer nicht dauernd ein Stückchen glücklicher ist als die anderen, der hat wohl den Sinn nicht erfasst. Besonders die sogenannte Generation Y sei davon betroffen, aber auch die 35- bis 40-Jährigen hätten ihren eigenen Sinnstress, weil die Erkenntnis da sei, dass ein rein von außen bestimmtes Leben inmitten schier unbegrenzter Möglichkeiten und Machbarkeiten im Versuch des Erfüllens von Erwartungen und Erwartungserwartungen nicht zu einem nachhaltigen Sinnerleben führt. Wenn das Leben als ein einziges vielstöckiges Kaufhaus gesehen wird, dann ergibt sich irgendwann auch einmal die Notwendigkeit zu wählen. Und irgendwann drängt sich die Reise ins Innen auf, weil es nur im Außen nicht mehr geht.

Kein Wunder, dass hinter all den gängigen Hilfsangeboten zum "Selbstmanagement" gegen Erschöpfung, Burnout und Nichtmehrkönnen alte Weisheiten wieder zur Geltung kommen: "Erkenne dich selbst, lerne dich zu spüren und, lerne loszulassen" steht hinter den Achtsamkeitstrainings, hinter der vor allem in Großkonzernen derzeit recht populär gewordenen Mindfulness-based Stress-Reduction, hinter Meditationsseminaren und Resilienztrainings.

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Immer mehr Konzerne bieten Kurse zur Stressreduktion an.
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Was psychische Erkrankung Österreich kostet

Ist damit eine Trendwende von der Wirklichkeit des Sich-krank-Arbeitens hin zu mehr balanciertem Leben in den entwickelten Nationen geschafft? Die Entwicklung in den Statistiken zeugt eher vom Gegenteil: Europaweit beziffert die OECD die direkten (im Gesundheitssystem) und die indirekten Ausgaben (steigende Sozialleistungen) mit rund 3,6 Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP). Für Österreich errechnet die Organisation einen volkswirtschaftlichen Schaden von fast zwölf Milliarden Euro im Jahr. Sinkende Leistungsfähigkeit ist da noch nicht eingerechnet. Aber so weit bekannt: Krankenstände wegen psychischer Krankheit dauern im Schnitt 36 Tage, solche wegen körperlicher Erkrankungen rund 13 Tage. Psychische Erkrankungen sind Hauptursache für Arbeitsunfähigkeit in der Gruppe der 15- bis 50-Jährigen, und mittlerweile geht in Österreich mehr als die Hälfte der angestellten Frauen frühzeitig wegen psychischer Erkrankung in Pension. 900.000 Österreicher nehmen das Gesundheitswesen jährlich wegen psychiatrischer Diagnosen in Anspruch. Europaweit sind 165 Millionen Menschen als psychisch erkrankt in der Statistik vermerkt. Von einer Umkehr der Aufwärtskurven ist (noch) nichts belegt.

Was Hoffnung gibt

Aber zumindest ist der schlechte, krankmachende Stress, verursacht durch mannigfaltigen Druck der gesellschaftlichen Richtung, besonders gut sichtbar und volkswirtschaftlich bezifferbar in den Sphären des Beruflichen, zum Thema mit großer Beachtung und vielerlei Maßnahmen geworden: Die EU-Gesundheitsagentur lanciert Informationskampagnen zur Stressbekämpfung, Arbeitsschutzgesetze verlangen das Evaluieren psychischer Belastungen an Arbeitsplätzen, der betriebswirtschaftliche Imperativ führt rundherum zum Tun – auch wenn das oft noch im Obstkorb, im Gutschein fürs Fitnesscenter steckenbleibt und letztlich der Sorge um die Produktivität und der Attraktivität als Arbeitgeber geschuldet ist. Das Gute daran: Gesundes Arbeiten ist Gegenstand der unternehmerischen Güte geworden, und wenn die Entwicklung so weitergeht, dann hat Burnout gute Chancen, von einer Medaille der sogenannten Leistungsgesellschaft zu einer unerwünschten Belastung zu werden, die nicht im Tabu verschwindet, sondern der möglichst wenig Chance gegeben wird, sich zu manifestieren. Dabei geht es nicht nur um Potenzialverlust in Unternehmen, sondern ja auch um Exklusion und Elend der Betroffenen und ihrer Angehörigen. Lang schon notwendige Umstellungen im Gesundheitssystem – etwa die Wege in den Teilzeitkrankenstand – geben Hoffnung.

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Ohne Alternativen und Humor wird's nicht gehen.
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Ein Weniger für viele

Letztlich wird aber die eine Säule des gesunden Arbeitens, nämlich die Selbstverantwortung, den größten Ausschlag geben können. Wenn es wahr ist, dass Junge nicht mehr bereit sind, Jahrzehnte ihres Lebens ausschließlich einer Erwerbsarbeit zu opfern, wenn es wahr ist, dass die junge Generation auf dem Arbeitsmarkt, deren Anliegen und Ansprüchen die demografische Kurve Gehör verleiht, Schablonen nicht mehr erfüllt, dann unterliegen Unternehmenskulturen und Arbeitswirklichkeiten gerade einer riesigen Transformation. Die Erkenntnisse der Neurowissenschaften und ihrer Erklärung der chemischen Vorgänge krankmachender Stressfaktoren bei dauernder Kortisolvergiftung im Gehirn, die Verhaltensökonomie und neue Generationen an Führungskräften und Unternehmern lassen berechtigte Hoffnung aufkommen, dass der Burnout-Ära nicht entropische Sinnkrisen, wie Horx belustigt meint, folgen, sondern eine neue Bewusstheit bezüglich individueller Konsequenzen, gesellschaftlicher Auswirkung und weiterer Verstärkung globaler Probleme und Ungleichgewichte beim Weitermachen im Morgen, so wie es gestern getan wurde.

Dass solche Umstellungen neue Blicke und Haltungen zu Statussymbolen, zum Haben und Darstellen, eine neue Inhaltsdefinition von Karrieren bedingen, ist klar. Viele meinen auch, es gehe insgesamt um ein Weniger für sehr viele. Vielleicht. Sicher aber geht es um Alternativen und ganz bestimmt benötigen alle Wege dorthin viel Humor. In Gesellschaften und Unternehmen, in denen nicht gelacht werden soll, wird es schwierig werden. (Karin Bauer, 19.11.2015)