Jeremy Rifkin macht es Journalisten nicht einfach. Beginnt er erst mal mit seinen Zukunftsvisionen, kann man den Monolog des 70-jährigen Ökonomen kaum noch stoppen: Revolution, Umbruch, historisch, Gefahr, Chance. Das sind die Worte, die seine Ausführungen regelmäßig begleiten. Vor allem aber gebraucht der Bestsellerautor und Berater in seinem Nachdenken über die Zukunft der Arbeit, über die künftige Organisation des ökonomischen Lebens, Superlative.
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Alle zuvor recherchierten Fragen beantwortet Rifkin von selbst, als ob er einen Blick auf die Notizen geworfen hätte, allerdings nicht ohne auf Anekdoten von seinen Treffen mit Entscheidungsträgern auf der ganzen Welt zu verzichten. Etwa als ihn Angela Merkel anrief und ihm sagte: "Jeremy, ich will diese Revolution." Aber der Reihe nach.
Ich habe ja bereits 1995 ein Buch namens "The End of Work" geschrieben, damals war das noch sehr kontrovers. Bis dahin wurde immer geglaubt, dass neue Technologien die Produktivität erhöhen – während sie bestehende Jobs eliminieren, kreieren sie neue, und zwar noch mehr als davor. Ich schrieb, dass das nicht mehr länger gültig ist. Auch über künstliche Intelligenz habe ich damals schon nachgedacht. Der "Economist" hat dann in seiner Titelgeschichte kommentiert: "Wir werden ja sehen, ob es eintrifft." Und es ist eingetroffen! Jeder gute Anthropologe hätte das kommen sehen können, die Entwicklung begann ja schon in den Fabriken der 1960er. An den Aussagen von damals hat sich eigentlich nichts geändert, aber was jetzt geschieht, ist, dass diese Transformationen einsetzen und wir darauf reagieren müssen.
Die Galgenfrist
Ganz so einfach ist es natürlich nicht, will man sagen, aber da ist Rifkin schon wieder fünf Sätze weiter. Die Arbeitswelt ist nicht dermaßen kollabiert, wie er dies 1995 prognostizierte. Eigentlich sei es überraschend, wie wenig sich in den vergangenen 20 Jahren verändert habe, sagt etwa der Arbeitsökonom Klaus Zimmermann dem Magazin Brand eins. Und doch ist es bemerkenswert, dass Rifkin damals das ausrief, womit heute wieder alle Magazine titeln: diesmal also wirklich?
Was die anderen Autoren großteils sagen, ist, dass es vorbei ist mit den Arbeitsplätzen und dass wir über ein fixes Grundeinkommen nachdenken müssen. Aber hier liegen sie falsch: Wir automatisieren den Kapitalismus in den nächsten vierzig Jahren – was ich prognostiziert habe passiert. Aber: wir haben eine Galgenfrist von 35 bis 40 Jahren, bis die Massenbeschäftigung ein Ende nimmt. Und bis dahin werden viele Jobs notwendig sein. Wir müssen ja die ganze Infrastruktur für das Internet der Dinge aufbauen.
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Das Internet der Dinge steht im Zentrum von Rifkins neuestem Buch Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft. Das Internet der Dinge, kollaboratives Gemeingut und der Rückzug des Kapitalismus. Rifkin schreibt hierin, dass die kapitalistische Gesellschaft von einer Ökonomie des Teilens verändert werde – der Sharing Economy.
Entstehen kann diese Alternative zwischen Sozialismus und Kapitalismus durch die Null-Grenzkosten-Gesellschaft, die ihren Anfang laut Rifkin mit dem Einstieg von Napster ins Musikgeschäft nahm: Die Kosten, ein Musikstück einmal oder eine Million Mal im Netz zu vertreiben, seien im Prinzip dieselben. Rifkin fallen hunderte andere Beispiele ein: Wohnen, Transport, Bildung, Handel – überall tun sich Alternativen auf, wo Menschen das klassische Verhältnis Käufer/ Verkäufer umgehen. Für den Autor ist diese neue Welt der "Prosumer" (eine Mischung aus "Produzenten" und "Konsumenten") gerechter als das jetzige System. Aber: Ist das nicht Nährboden für Monopole? Gerade Uber ist derzeit ein gutes Beispiel. Die Zwischenfrage kommt durch.
Verschwommene Grenzen
Klar gibt es Unternehmen, die von diesem System profitieren und Geld machen – aber es gibt auch Non-Profits. Es gibt Airbnb, aber auch Couchsurfing. Es gibt Google, aber auch Wikipedia. Es ist kein Entweder-oder, sondern verschwommen.
Lange hält sich Rifkin aber mit Kritik nicht auf. Er kennt die Gegenargumente, weiß, dass sich seine Prophezeiungen genau so gut in eine sehr ungerechte Wirklichkeit bewegen können. Die Null-Grenzkosten verändern auch die Beschäftigung: Statt Arbeit in den Kategorien Besitzer und Arbeiter oder Verkäufer und Käufer zu denken, stehen bei Rifkins dritter industrieller Revolution die "Prosumers" im Vordergrund. Sie bedienen sich der neuen Plattformen, dem Internet der Dinge.
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Schon bei den vorangegangenen Umbrüchen seien immer drei Bereiche ausschlaggebend gewesen: Kommunikation, Transport und Energie. Wenn es in diesen drei Bereichen große Veränderungen gibt, dann bricht laut Rifkin das ganze System um, es entsteht eine ganz neue Infrastruktur, welche die Organisation des ökonomischen Lebens komplett verändert.
Das Kommunikationsinternet – das, was wir als Internet kennen – wächst jetzt mit etwas zusammen, das ich das Energieinternet nenne, und mit einem digitalisierten, automatisierten Internet für Transport und Logistik. Kombiniert ist das ein nahtloses Superinternet, das Internet der Dinge: Überall in den Wertschöpfungsketten wird es Sensoren geben, sodass jedes Gerät, jede Maschine und jede Anwendung in Echtzeit ökonomische Aktivität beobachten und messen kann. Diese Information geht dann an alle anderen Geräte, Maschinen, Anwendungen – und Menschen. Das ist wie ein externes Gehirn, eine völlig neue technologische Plattform und Infrastruktur. Er erlaubt den Menschen erstmals weltweit als Familie zusammenzukommen und direkt miteinander in Verbindung zu treten – ohne die Mittelmänner zwischen Produktion, Beschäftigung und Konsum.
Chinesen und Smartphones
Das Internet der Dinge wird die bisher auf das Kommunikationsinternet beschränkte Gemeinschaftsökonomie auf Logistik und Energie ausweiten. Letzteres ist ein Thema, das Rifkin besonders am Herzen liegt. Bereits vor zehn Jahren begann er die Zusammenarbeit mit Angela Merkel in Deutschland. Die Energiewende in Deutschland ist für ihn ein Vorzeigebeispiel und illustriert, in welche Richtung die Null-Grenzkosten-Gesellschaft geht.
Als ich ein Kind war, in den 1950ern, da kosteten Computerchips Millionen. Wir dachten, es wird nie mehr als ein Dutzend davon geben. Jetzt haben die Chinesen Smartphones für 25 Dollar. Das Gleiche wird mit Solarenergie und Wind passieren. In den 70ern hat es 175 Dollar gekostet, ein Watt zu generieren, heute sind wir bei 70 Cent, und bald wird es noch weniger kosten. Jeder wird sich die eigene Stromversorgung bauen und leisten können. Und die Grenzkosten? Der Wind sendet keine Rechnung, genauso wenig die Sonne. Wenn man einmal die fixen Kosten gezahlt hat, dann ist alles gratis. Sind die großen Unternehmen damit Geschichte? Nein. Sie müssen nur ihre Businesspläne ändern.
Auch in Transport und Logistik appelliert Rifkin geradezu an die Unternehmen, sich nun dem Umschwung zu widmen und in neue Geschäftsfelder zu investieren. Die Rolle vieler Unternehmen wird es laut dem Wissenschafter sein, Partnerschaften mit tausenden Institutionen – Non-Profit, Profit, Behörden – einzugehen und den Datenfluss in jenen Wertschöpfungsketten zu managen. Sie helfen bei Algorithmen, Analysen und Apps, die sich die Prosumer selbstständig aus dem Internet der Dinge ziehen können.
"Entschuldigung, aber das ist Bullshit"
Hier wird schon deutlich: All diese Umbrüche, die Rifkin beschreibt, sorgen natürlich auch bei der Beschäftigung für Veränderungen, für ganz neue Tätigkeiten. Klar – manche Unternehmen beziehungsweise ganze Geschäftsfelder gehen unter, prophezeit Rifkin. Dafür würden aber hunderte Neue entstehen. Und seine zentralste Botschaft: Der Aufbau dieser neuen Infrastruktur schafft so viele neue Jobs wie schon lange nicht mehr. Deshalb die "Galgenfrist". Für jene Autoren, die das Ende der Arbeit durch die Übernahme von Robotern prophezeien und bereits über ein Grundeinkommen nachdenken, hat Rifkin kein Verständnis. Er wird, was während des einstündigen Gesprächs sonst nicht vorkam, richtig wütend:
Entschuldigung, aber das ist Bullshit. Menschen müssen nicht dafür bezahlt werden, nichts zu tun. In Zukunft wird es viel kreativere Wege geben, um unser soziales Kapital zu nutzen. Warum sollten wir innehalten und nur noch Maschinen bedienen? Die Maschinen sollen mit den Algorithmen ihre Arbeit machen, und wir bewegen uns weiter.

Was aber, nachdem die Galgenfrist vorbei ist? Nachdem die ganzen Sensoren angebracht wurden, die Autos endgültig von selbst fahren und jeder seinen eigenen Strom erzeugt? Dann stellt sich auch für Rifkin die Frage, was mit Arbeit passiert. Natürlich hat er eine Antwort.
Das Soziale im Zentrum
Was dann passieren wird, ist der Shift zur Sozialökonomie, wo man soziales Kapital statt ökonomisches verdient. Hier braucht es Menschen – und keine Maschinen. Bildung, Gesundheit, Pflege, Kinderbetreuung, Umwelt, Kultur, Kunst, Sport – es gibt so viele Aktivitäten, wo menschliche Interaktion zählt. Diese Arbeit setzt Geistesarbeit voraus, sie ist viel erfüllender als ökonomische Arbeit.
Je länger Rifkin über seine Zukunftsvorstellungen spricht, über eine Gesellschaft des Teilens, wo alle Menschen eine große Familie sind und Beschäftigung vom ökonomischen Wert entkoppelt wird, desto deutlicher wird, dass dies auch sein Herzenswunsch ist. Seinen Antrieb, immer wieder über Veränderungen nachzudenken, sieht er im Aktivismus.
Ich wurde in den 60ern im Kontext des Vietnamkriegs zum Aktivisten und habe mich auch danach für Bürgerrechte eingesetzt. Ich bin in einem Arbeiterbezirk in Südchicago aufgewachsen und habe gesehen, was mit den ganzen Arbeitern in den Fabriken geschah. Das, was ich heute mache, habe ich mir nie als Karriere überlegt. Es ist einfach, was ich bin. Meine größte Inspiration ist, dass wir einen viel besseren Job in der Demokratisierung des ökonomischen Lebens machen können. Die Ungleichheit auf der Erde entzieht sich einfach jeder Vorstellungskraft.
Alles was ich hier gesagt habe kann ein 18-jähriger Student verstehen. Als Aktivist habe ich gelernt, weder Pessimist noch Optimist, sondern hoffnungsvoll zu sein. (Lara Hagen, 24.9.2015)