Ein wortkarger Lehrer muss zur Waffe greifen und einen zum Tode Verurteilten durch Algerien eskortieren: Viggo Mortensen in "Den Menschen so fern".

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STANDARD: Im Film spielen Sie einen französischen Lehrer im turbulenten Algerien des Jahres 1954. Die Vorlage "Der Gast" stammt von Albert Camus. Sehen Sie Ihre Figur auch ein wenig als Stellvertreter des Autors?

Mortensen: Daru ist durchaus ein freier, denkender Mensch, wie es Camus auch war. In der Vorbereitung haben wir viel über ihn gesprochen. Das Drehbuch geht über die sehr kurze Vorlagengeschichte ja noch hinaus. Man kann auch Elemente von Camus' anderen Schriften, aus Der erste Mensch oder Die Pest, darin erkennen. Und aus seiner journalistischen Arbeit aus den 1930er-Jahren, als er noch in Algerien lebte und über die Kabylei schrieb. Er hat viele Texte zu Fragen der Gerechtigkeit für Araber und Berber verfasst.

STANDARD: Sie scheinen sich ausgezeichnet mit Camus auszukennen.

Mortensen: Ich bewundere Camus seit langer Zeit, nicht nur als Schriftsteller, sondern auch als Denker und Philosophen. Für mich ist er auf diesem Gebiet einer der Größten des 20. Jahrhunderts. Ich schätze seine Uneitelkeit und Direktheit. Er hat sich zeitlebens in keine ideologische Schublade stecken lassen. Das hat zum Konflikt mit Sartre und Simone de Beauvoir geführt. Er hat in ihnen Heuchler gesehen, weil sie sich nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs wieder für eine Idee vereinnahmen ließen. Camus hat in der Sowjetunion keine sozialistische Demokratie gesehen, sondern die Gulags.

STANDARD: Die Politik des Maßes, die Camus vertreten hat, ist in Hinblick auf Algerien auch im Film zu erkennen.

Mortensen: Es ist auf jeden Fall ungewöhnlich für einen Genrefilm, dass er auch von den Hintergründen des Krieges in Algerien erzählt. Und dass er dabei ganz und gar nicht ideologisch ist. All die anderen, ob Gillo Pontecorvos Schlacht um Algier oder die vielen mittelmäßigeren Filme, haben eine klare politische Sichtweise. Den Menschen so fern beschäftigt sich zwar am Rande mit Politik, handelt aber eigentlich von der Freundschaft zweier gewöhnlicher Leute, von Daru und dem Algerier Mohamed. Es ist die Basis jedes guten Dramas: Was passiert, wenn sich gewöhnliche Leute in außergewöhnlichen Situationen wiederfinden? Wenn jemand, mit dem ich mich identifizieren kann, in eine unmögliche Situation gerät? Deswegen schauen wir uns doch Filme im Kino an. Hier geht es um die Frage, was es bedeutet, gerecht zu sein.

STANDARD: Eine charakteristische Frage für einen Western, ein Genre, an das Regisseur David Oelhoffen auch stilistisch anschließt. Behagt Ihnen dieses körperliche Spiel besonders?

Mortensen: Es hat mehr damit zu tun, wie man Figuren glaubwürdig erscheinen lässt. Die Figuren leben isoliert, es gibt kulturelle Differenzen. Beide Männer sind diskret, bescheiden. Sie sprechen nicht über ihre Gefühle und die Vergangenheit. Ich habe schon davor Rollen gespielt, in denen Sprache nicht so zentral war. Man muss viel mit Blicken und subtilen gestischen Mitteln arbeiten. Reda Kateb (der Darsteller von Mohamed, Anm.) hat es mir auch leicht gemacht, er ist ein sehr physischer Darsteller.

STANDARD: Ich habe gelesen, dass Sie sich im Unterschied zu Kateb, der vor den Szenen Ruhe sucht, gerne permanent in den Dreh einbringen. Stimmt das?

Mortensen: Von wem haben Sie denn das? Ich bin einer der Produzenten des Films, vielleicht habe ich deshalb mehr geredet. Möglicherweise liegt es auch in meiner Natur! Selbst wenn ich gerade nicht an der Reihe bin, gefällt es mir, am Set zu sein. Ich bin neugierig, wie alles zusammengesetzt wird. Alles was beim Dreh passiert, hat ja auch mit meinem Teil daran zu tun. Ein Film ist immer nur so gut wie die Anstrengungen des ganzen Teams. Schauspieler denken oft nur daran, was sie selbst wollen – ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, das Gesamtbild einzufangen. Als Produzent legalisiere ich diesen Anspruch gewissermaßen: Ich mache dabei nur, was ich immer mache, nämlich meine Nase überall hineinzustecken.

STANDARD: Sie haben auch "Jauja", den jüngsten Film des Argentiniers Lisandro Alonso produziert, einen sehr ungewöhnlichen Film. Wie kommt es denn zu solchen Welt-kinoprojekten?

Mortensen: Ich schaue mich nicht zielgerichtet nach diesem oder jenem Film um, obwohl das viele glauben. Das Projekt kann aus jedem möglichen Land kommen. Ich suche nach Geschichten, die mir gefallen und die ich selbst gerne im Kino sehen würde. Es ist einfach passiert, dass ich Filme wie Jauja, Die zwei Gesichter des Januars oder Captain Fantastic gemacht habe – Filme, die oft zwei Jahre Entwicklung brauchen, bevor die Dreharbeiten beginnen können. Sie haben eigenwillige Ansätze, deshalb gibt es kein Studio, das Geld dafür herausrückt. Es gibt auch keinen Release-Plan. Wenn ich in der Zwischenzeit ein Studioangebot bekomme, kann ich oft nicht zusagen, weil ich mich eben schon anders festgelegt habe – selbst wenn ich das Projekt schätze.

STANDARD: Sie haben einmal gesagt, dass Sie in jedem Film die Präzision suchen, denn das ließe ihn am Ende universeller erscheinen. Das hat mich an David Cronenberg erinnert, mit dem Sie oft zusammenarbeiten. Auch Cronenberg ist bekannt für sein Beharren auf Genauigkeit. Eine Gemeinsamkeit?

Mortensen: Ich glaube, so bin ich einfach, und das ist wohl der Grund, warum ich mittlerweile auch Filme produziere. Da kann ich alles besser abstimmen. Doch abgesehen von meinem vollkommenen Mangel an Humor, ist es wohl auch einer der Gründe, warum ich mit Cronenberg so gut zurechtkomme. Wir sind uns darin sehr ähnlich. Wir haben beide die Philosophie: Wenn es ein Job wert ist, ihn zu tun, dann ist er es auch wert, ihn gut zu tun. Cronenberg ist ständig dabei sich weiterzuentwickeln, er wiederholt sich nicht. Das ist etwas sehr Rares – er gibt sich nicht mit dem Mittelmaß zufrieden. (Dominik Kamalzadeh, 11.9.2015)