Wien/Nickelsdorf/Berlin – An der österreichisch-ungarischen Grenze in Nickelsdorf sind seit 7 Uhr wieder zahlreiche Flüchtlinge aus Ungarn angekommen. "Derzeit sind es 1.500" sagte Polizeisprecher Helmut Marban. Die Behörden rechneten für Sonntag erneut mit zwischen 6.000 und 8.000 Ankünften in Nickelsdorf. Die Personen würden im Stundentakt in Zügen in Hegyeshalom ankommen und dann zu Fuß die Grenze überqueren.

Logistisch wird der Zustrom auch am Sonntag verkraftbar sein, sagte Marban. Die Flüchtlinge würden mit extra geführten Zügen der ÖBB und Bussen an den Westbahnhof gebracht werden, von wo sie nach Deutschland weiterreisen wollen. Falls es zu Engpässen am Westbahnhof kommen sollte, stehen auch andere Bahnhöfe zu Verfügung.

Weiterhin zahlreiche Ankünfte

Marban ging davon aus, dass auch am Montag zwischen 6.000 und 8.000 Flüchtlinge ankommen werden. Die ÖBB werden mit einem extra Zug mehr als am Samstag unterwegs sein, sagte ÖBB-Sprecherin Sonja Horner zur APA. Vier Züge werden nach Salzburg fahren, vier weitere werden als Shuttlezüge zwischen dem Westbahnhof und Nickelsdorf verkehren. Auch die ÖBB waren optimistisch, den Zustrom erneut zu bewältigen. Zum einen seien die Einsatzkräfte gut koordiniert, zum anderen würden "viele reguläre Fahrgäste aufgrund der Lage von einer Reise per Bahn absehen und auf alternative Transportmittel umsteigen", sagte Horner.

Am Samstag waren an der österreichisch-ungarischen Grenze mehr Flüchtlinge angekommen als erwartet. Seit Mitternacht hätten rund 6.600 Menschen die Grenze überquert, sagte Polizeisprecher Helmut Marban am Samstagabend. Rund 5.000 Menschen seien bereits mit vier Sonderzügen und zahlreichen Bussen weggebracht worden; die Transporte wurden auch am Samstagabend fortgesetzt. In Nickelsdorf habe man eine Kapazität für 3.000 bis 4.000 Menschen.

Said war in Syrien Profifußballer und später Trainer. Er ist überwältigt von der Freundlichkeit der Österreicher und will mit seiner Familie hier bleiben, obwohl alle sagen, "geh nach Deutschland".
derstandard.at/von usslar

Innerhalb Österreichs werden die Flüchtlinge von ÖBB-Sonderzügen sowie Bussen des Bundesheers weitertransportiert. Mittlerweile kann man "bis zu 1.300 Personen gleichzeitig" bewegen, dafür stehen auch 21 Busse bereit, sagte ein ÖBB-Sprecher. Der Railjet-Verkehr zwischen Wien und Budapest blieb jedoch weiterhin eingestellt.

Der Nickelsdorfer SPÖ-Bürgermeister Gerhard Zapfl im Interview.
derstandars.at/von usslar

Auf dem Wiener Westbahnhof werden die Menschen von Hilfsorganisationen betreut. Sie bekommen zu essen und Getränke. Alles läuft sehr geordnet ab", sagte Polizeisprecher Christoph Pölzl. Die Flüchtlinge würden den österreichischen Beamten Vertrauen schenken, weil es sich herumgesprochen habe, die österreichische Polizei würde – im Gegensatz zur ungarischen – immer die Wahrheit sagen, meint Burgenlands Landespolizeikommandant Peter Doskozil im STANDARD-Interview.

Burgenlands Landespolizeikommandant Peter Doskozil im STANDARD-Interview.
derstandard.at/von usslar

München erlebt Rekord

Die bayerische Landeshauptstadt München stand am Samstag vor der größten Aufnahme von Flüchtlingen innerhalb eines Tages. Am Hauptbahnhof in München sind nach Polizeiangaben allein am Samstag 12.200 Flüchtlinge eingetroffen. Am Sonntag sind seit Mitternacht noch einmal 750 Menschen hinzugekommen. Es sei "ganz klar, dass wir an die äußerste Grenze unserer Kapazitäten gelangt sind, sagt ein Polizeisprecher.

Vereinzelt mussten Flüchtlinge bereits auf Matten am Boden übernachten, da die Nachtunterkünfte nicht ausreichten. Am Sonntag soll deshalb der Weitertransport zahlreicher Flüchtlinge organisiert werden. Die Behörden erwägten zudem, die Olympiahalle kurzfristig als Übernachtungsstätte herzurichten. Die bayerische Landesregierung trifft sich am Sonntag zu einer Sondersitzung.

Bild nicht mehr verfügbar.

Eine Flüchtlingsfamilie bei ihrer Ankunft in München.
Foto: APA/dpa/Nicolas Armer

Kapazitätsgrenzen der Österreichischen Helfer

Unterdessen kommen die Helfer in Österreich zunehmend an ihre Kapazitätsgrenzen. Zwei Wochen noch kommt das Rote Kreuz "über die Runden" – schon jetzt werden für den Flüchtlingseinsatz Mitarbeiter aus Vorarlberg angefordert, sagt Generalsekretär Werner Kerschbaum. Er wünscht sich eine unbürokratischere Vernetzung mit dem Bundesheer und denkt einen "Vorratsbeschluss" für einen Assistenzeinsatz an.

Faymann kritisiert Orban

Für Aufregung sorgten am Samstag Aussagen von Bundeskanzler Werner Faymann gegenüber dem "Spiegel". "Flüchtlinge in Züge zu stecken in dem Glauben, sie würden ganz woanders hinfahren, weckt Erinnerungen an die dunkelste Zeit unseres Kontinents", hatte Faymann in Anspielung an den Holocaust erklärt. Zudem hatte er Orban vorgeworfen, "bewusst eine Politik der Abschreckung zu betreiben" und "unverantwortlich zu handeln", wenn er "jeden zum Wirtschaftsflüchtling erklärt".

Bild nicht mehr verfügbar.

Flüchtlinge aus Ungarn kurz vor der Österreichischen Grenze.
Foto: APA/HERBERT P. OCZERET

Das ungarische Außenministerium zitierte daraufhin den österreichischen Botschafter, Ralph Scheide, ins Außenministerium und übte ausgesprochen harsche Kritik an Faymann. Dessen Worte seien "eines führenden Politikers im 21. Jahrhundert unwürdig". Österreichs Regierungschef betreibe seit Wochen eine "Lügenkampagne" gegen Ungarn, obwohl das Land alle EU-Regeln beachte und eine effiziente gemeinsame europäische Lösung für die Flüchtlingskrise suche, zitierte die ungarische Nachrichtenagentur MTI Außenminister Peter Szijjarto. Faymanns "Amoklauf" sei "unverantwortlich" und offenbare seine Unfähigkeit.

Grenzzaun wird geschlossen

Ungarn begann am Samstag den letzten Durchlass an der Grenze zu Serbien zu schließen, wie MTI berichtete. Über ein Bahngleis zwischen dem serbischen Horgos und dem ungarischen Röszke waren in den vergangenen Tagen die überwiegende Mehrheit der Flüchtlinge ins Land gekommen, dieser soll nun mit einem Eisentor abgesperrt werden. Am Dienstag tritt zudem ein verschärftes Einwanderungsgesetz in Kraft, das hohe Gefängnisstrafen für illegalen Grenzübertritt sowie Schnellverfahren zur Abschiebung von "Wirtschaftsflüchtlingen" vorsieht.

Dennoch rechnen die serbischen Behörden weiterhin mit hohen Flüchtlingszahlen. Binnen einer Woche würden bis zu 23.000 Menschen in Serbien eintreffen, berichtete der staatliche TV-Sender RTS am Samstag.

Aktionstag in Europa

In Wien haben am Samstag hunderte Menschen für mehr Solidarität mit Flüchtlingen, eine Öffnung der Grenzen und legale Fluchtwege demonstriert. Nach einer Eröffnungskundgebung am Christian-Broda-Platz beim Westbahnhof marschierten laut Polizei 1.500 Menschen in Richtung Schubhaftzentrum Hernalser Gürtel.

In Kopenhagen demonstrierten rund 30.000 Menschen für eine menschenwürdige Asylpolitik.

Der Protestmarsch ist Teil eines europaweiten Aktionstags unter dem Titel #EuropeSaysWelcome (Europa heißt Willkommen), der nach Angabe der Organisatoren in 100 Städten und 30 Ländern stattfindet. Alleine in London versammelten sich am Samstag etwa 100.000 Menschen um für eine menschenwürdigere Asylpolitik zu demonstrieren, unter ihnen auch der neugewählte Labour-Chef Jeremy Corbyn. In Kopenhagen gingen 30.000 Menschen auf die Straße, in Prag mehrere hundert. (APA, mcmt, mvu, ook, 12.9.2015)