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Mit deutlicher Mehrheit wurde der linke Kandidat Jeremy Corbyn am Samstag zum neuen Labour-Vorsitzenden gewählt. Die Begeisterung darüber wird nicht innerhalb der ganzen Partei geteilt.

Foto: AP / Kirsty Wigglesworth

Nach dem Erdrutschsieg des einst völlig unbekannten Hinterbänklers Jeremy Corbyn ringt die britische Labour-Partei um ihre zukünftige Identität unter dem neuen Vorsitzenden. Eine Reihe prominenter Vertreter des moderaten und rechten Parteiflügels schloss öffentlich eine Beteiligung am Schattenkabinett des 66-jährigen Parteilinken aus.

Der neue Vizevorsitzende Tom Watson sprach am Sonntag von "erheblichen Differenzen" mit seinem Chef, mahnte die Parlamentsfraktion aber zur Einigkeit: "Jeremy hat riesige Unterstützung von der Basis." Indes schießen sich die Konservativen auf den neuen Widersacher ein. Er stelle "eine klare Gefahr für die ökonomische und militärische Sicherheit unseres Landes" dar, sagte Michael Gove, ein enger Vertrauter von Premier David Cameron.

Fast 60 Prozent der Stimmen

Im innerparteilichen Schlagabtausch begeisterte Corbyn viele Mitglieder sowie überwiegend junge Sympathisanten. Überraschend wirkte am Samstag höchstens die Höhe des Sieges: Corbyn erreichte insgesamt 59,5 Prozent der gut 420.000 Stimmen, sein nächster Rivale Andrew Burnham kam nur auf 19 Prozent. Neben der Wahl Corbyns und Watsons wurde Sadiq Khan zum Labour-Kandidaten für Londons Bürgermeisteramt gewählt.

Der neue Labour-Vorsitzende will "die groteske Ungleichheit" im Land und die "groteske Bedrohung unserer Umwelt" bekämpfen, sagte er im Anschluss an die Wahl. Am gleichen Nachmittag nahm Corbyn an einer Demons tration für die bessere Behandlung von Flüchtlingen teil. Für heute, Montag, kündigte er die energische Bekämpfung eines neuen Gewerkschaftsgesetzes an, mit dem die Regierung den Arbeitnehmerorganisationen die Flügel stutzen will.

Innerparteiliche Widerstände

Corbyn plant, sein Schatten kabinett zu 50 Prozent mit Frauen zu besetzen. Allerdings haben Ex-Kabinettsmitglieder wie die innenpolitische Sprecherin Yvette Cooper oder Nachwuchsstars wie die Ökonomin Rachel Reeves öffentlich erklärt, sie würden sich der Zusammenarbeit mit dem neuen Chef verweigern.

Die Appelle an die Einigkeit der Fraktion dürften auf taube Ohren stoßen; Abweichler vom Corbyn-Kurs können auf den beharrlichen Widerstand des neuen Chefs zu früheren Parteiführungen verweisen. Genau 533 Mal stimmte er gegen die Politik der beiden Labour-Premierminister Tony Blair (1997–2007) und Gordon Brown (2007–2010). Wie das New-Labour-Duo wurde auch Corbyn 1983 erstmals ins Unterhaus gewählt.

Beseitigung aller Sozialkürzungen

Bis Samstag bekleidete er weder Partei- noch Regierungsamt, stemmte sich als Hinterbänkler gegen neoliberale Wirtschaftsreformen und stimmte gegen sämtliche Kriegsbeteiligungen britischer Truppen, nicht zuletzt gegen den Irak-Krieg. Corbyn befürwortet die einseitige Nuklearabrüstung sowie ein massives Konjunkturprogramm und die Beseitigung sämtlicher Sozialkürzungen der vergangenen Jahre.

Glückwünsche für den neuen Mann kamen am Samstag nicht nur von Spaniens linker Podemos-Partei und der griechischen Syriza. Es gratulierten auch Gerry Adams, ehemaliges IRA-Mitglied und Sinn-Féin-Vorsitzender, dessen Ziel eines vereinigten repu blikanischen Irland Corbyn teilt, sowie die argentinische Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner. Der von einer Chilenin geschiedene und mit einer Mexikanerin verheiratete Corbyn unterstützt Argentiniens Wunsch, mit Großbritannien über die Falklandinseln zu verhandeln. (Sebastian Borger aus London, 13.9.2015)