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US-Banker hängen am Donnerstag an der Lippen der Fed-Chefin Janet Yellen.

Foto: Reuters / Yuri Gripas

New York / Wien – Vor einigen Monaten galt es noch als ausgemachte Sache. Janet Yellen, Chefin der Federal Reserve, der US-Notenbank, wird bei der Sitzung am 17. September den Leitzins nach sieben Jahren von der Nulllinie wegführen. Nach der sommerlichen Verlustserie der US-Börsen, der stärksten seit vier Jahren, und wegen Chinas Konjunktursorgen kann davon keine Rede mehr sein. Vielmehr geht ein tiefer Riss durch die Wall Street: Die Hälfte der von der Finanznachrichtenagentur Bloomberg befragten Analysten glaubt noch an einen Zinsschritt am Donnerstag, der Terminmarkt signalisiert bloß eine Wahrscheinlichkeit von etwas mehr als einem Viertel.

Auf der einen Seite stehen die als Tauben bezeichneten Gegner einer Zinserhöhung, die einen solchen Schritt für nicht vertretbar halten. Deutliche Worte findet der Milliardär und Hedgefondsmanager Ray Dalio, für den ein Drehen an der Zinsschraube angesichts der schwachen Weltkonjunktur eine epische Fehlleistung wäre. Die Notenbank müsste daraufhin ihren Kurs umkehren und neuerlich anfangen, Geld zu drucken. Damit liegt Dalio ganz auf der Linie des früheren US-Finanzministers Larry Summers.

Drehen an der Zinsschraube

Solche Warnungen dürften auch bei Notenbankchefin Yellen Erinnerungen an den gescheiterten Versuch der EZB hervorrufen, im Euroraum schon im Jahr 2011 eine Zinswende nach oben einzuläuten. Rasch entpuppten sich die Erhöhungen als Fehltritt und mussten umgehend korrigiert werden. In weiterer Folge führte auch die EZB die Nullzinspolitik samt Anleihenkaufprogramm ein.

Im Lager der Falken hingegen wird eine Zinserhöhung beinahe als Muss betrachtet. Dazu zählt Citigroup-Volkswirt William Lee, der die US-Wirtschaft nach sieben Jahren Nullzins für robust genug hält. Damit nicht genug, werden seiner Prognose zufolge im kommenden Jahr noch mehrere Erhöhungen folgen. Auch Scotiabank-Stratege Guy Hasselmann plädiert für das Drehen an der Zinsschraube – räumt aber ein, dass er in drei Dekaden an der Wall Street noch nie so viel Konfusion gesehen habe.

"So spannend wie diesmal war es schon lange nicht", sagt auch RBI-Analyst Jörg Angele im Gespräch mit dem STANDARD. "Es wird eine knappe Entscheidung." Der Zustand der US-Wirtschaft erlaube einen Zinsschritt – den er auch erwartet, sofern nicht Kursturbulenzen oder grottenschlechte Wirtschaftsdaten kurzfristig einen Strich durch die Rechnung machen. Die Auswirkungen auf die US-Konjunktur hält der Analyst bei einer allfälligen Erhöhung um einen Viertelprozentpunkt für vernachlässigbar.

Greenspan: "Schwierige Lage"

Sollten die Falken die erste Zinserhöhung seit Mitte 2006 – damals noch von fünf auf 5,25 Prozent – durchsetzen, rechnet Angele mit einem Anstieg des US-Dollars gegenüber dem Euro sowie nachgebenden Anleihen- und Aktienkursen: "Der Markt hat Angst, dass die Zinsen dann schnell weiter nach oben gehen." Der Aktienmarkt sollte sich jedoch bald fangen, da man einen Zinsschritt auch als Zeichen einer robusten Wirtschaft interpretieren könne.

Nach Ansicht ihres früheren Chefs Alan Greenspan befindet sich die Fed "in einer sehr schwierigen Lage". Der als "Maestro" bekannte Notenbanker hat ab den späten 1990er-Jahren Krisenherde mit Geldspritzen erstickt, wobei die Dosis von Mal zu Mal gesteigert wurde. Auf dem Höhepunkt der Finanzkrise Anfang 2009 reduzierte sein Nachfolger Ben Bernanke den Leitzins bis an die Nulllinie. An Yellen, die Bernanke im Februar 2014 beerbte, liegt es nun, die geldpolitische Normalität wiederherzustellen: "Es gibt kein vorstellbares Szenario, in dem das leicht wird", beschrieb Greenspan unlängst die Herausforderung. (Alexander Hahn, 14.9.2015)