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Italiens Finanzminister Pier Carlo Padoan unterstützt die Idee seines österreichischen Kollegen Schelling, Ausgaben für die Aufnahme von Flüchtlingen beim Staatsdefizit anzurechnen.

Foto: Reuters / Joshua Roberts

STANDARD: Besonders in Griechenland, aber auch in Italien sind die Behörden mit dem Zustrom an Asylwerbern extrem überfordert. Erschwert der Sparkurs der vergangenen Jahre die Situation zusätzlich? Sowohl Rom als auch Athen mussten in der Verwaltung ja massiv sparen.

Padoan: Nein, ich denke nicht, dass es da irgendeine Verbindung gibt. Es geht um simple Geografie: Italien und Griechenland befinden sich an der südlichen Flanke Europas, und da kommen die Flüchtlinge zum überwiegenden Teil an. Aber haben Sie irgendeine Vorstellung davon, welche gewaltigen Anstrengungen Italiens Behörden seit Jahren in dieser Angelegenheit aufbringen? Italien hat die Last, die mit dem Flüchtlingsstrom verbunden ist, sehr lange ganz allein getragen. Ich rede hier nicht über gut ausgebildete Menschen, die nun aus Syrien kommen, sondern über die nicht ausgebildeten Migranten, die schon seit Jahren zu Tausenden aus Somalia, aus Afrika zu uns kommen und um ihr Leben kämpfen.

STANDARD: Sie klingen, als fühlte sich Italien alleingelassen von der EU.

Padoan: Lange Zeit haben andere Länder zu uns gesagt: Das ist eure Grenze, das ist eure Angelegenheit. Das widerspricht natürlich den Prinzipien eines vereinten Europas, denn das Mittelmeer ist ja nicht nur die Grenze Italiens, es ist die Grenze Europas. Inzwischen wird das anerkannt. Es gab aber noch vor einem Jahr keine Schiffe aus anderen Ländern, die uns dabei halfen, im Mittelmeer zu patrouillieren. Jetzt hat sich das geändert. Was ich damit sagen will: Zu behaupten, die italienischen Behörden agierten ineffizient, ist völlig falsch.

STANDARD: Aber in Griechenland werden Flüchtlinge inzwischen durch gewunken, da ist ja ganz offensichtlich, dass der Staat nicht fähig ist mit der Situation klarzukommen.

Padoan: Das liegt aber auch an der Größe der Herausforderung. Nehmen Sie das Beispiel Italien: Wenn Sie im Sommer in den Süden reisen, gibt es mehrere Städte, in denen Sie eine schreckliche Situation vorfinden werden. Manchmal kommen tausende Migranten am Tag an. Zunächst einmal geht es dabei darum, Menschenleben zu retten. Die Leute werden immer wieder in Schlauchbooten im Meer ausgesetzt, und dann erhält die italienische Küstenwache einen Anruf: Bitte, holt die doch ab. Das ist lebensgefährlich. Ich möchte also betonen, wie hingebungsvoll das italienische Militär und unsere Zivilschutzbehörden Leben retten. Die Öffentlichkeit ist schockiert über jenes arme kleine Kind, das tot an die türkische Küste gespült wurde. Aber niemand war schockiert über die Bilder von hunderten Leichen auf einem Fischerboot, das letztes Jahr im Mittelmeer trieb. Allein das italienische Militär kümmerte sich damals darum, Leben zu retten.

STANDARD: Österreichs Finanzminister Hans Jörg Schelling hat vorgeschlagen, die EU-Defizitregeln anzupassen. Ausgaben für Flüchtlinge sollen bei der Berechnung des strukturellen Defizits keine Rolle spielen. Wie sehen Sie diese Idee?

Padoan: Die Mittel, die Italien ausgeben muss, sind gewaltig: einerseits, um Leben im Mittelmeer zu retten, andererseits, um die Migranten zu versorgen. Die aktuelle Situation sollte als ein externer Schock angesehen werden, der Europa trifft. Die Ausgaben der am meisten von der Krise betroffenen Länder, Österreich ist eines davon, sollten als eine Art Dienstleistung für Europa angesehen werden. Daher sollten die gemeinsamen Regeln adaptiert werden, um dem Rechnung zu tragen. Ich unterstütze den Vorschlag daher vollständig.

STANDARD: Sie gehören einer sozialdemokratischen Regierung an. Man hat aber das Gefühl, das macht im Umgang mit der Eurokrise keinen Unterschied: Ihre Regierung hat von Griechenland dieselben Reformen gefordert wie die deutsche Regierung.

Padoan: Es gibt keine Unterschiede entlang Parteigrenzen, was Griechenland betrifft. Letztlich ging es in den vergangenen Monaten nur um die Frage, ob es angesichts der schwierigen Situation überhaupt gelingt, eine Einigung mit Athen zu finden. Das erzielte Abkommen der Eurozone mit den Griechen ist aus meiner Sicht ein großer Erfolg: Wir haben uns über die Finanzierung geeinigt, und Athen hat die notwendigen Reformmaßnahmen zugesagt.

STANDARD: Griechenlands Wirtschaftsleistung ist seit 2010 um 20 Prozent eingebrochen. Was lässt Sie auf eine Trendwende hoffen?

Padoan: Wir haben eine Reihe von Ländern gesehen, die eine tiefe Rezession durchlebt haben und sich inzwischen wieder erholen: Irland etwa oder Spanien. Das liegt auch daran, dass diese Länder wichtige strukturelle Reformen umgesetzt haben. Ich denke, wenn das Vertrauen wieder zurückkehrt, könnte Griechenland weit stärker wachsen, als wir uns das heute erwarten.

STANDARD: Viele Ökonomen sagen, dass das eigentliche Problem Europas Italien ist. Das Land wächst seit vielen Jahren kaum noch.

Padoan: Diese Ökonomen sollten sich die Fakten genauer ansehen. Wir haben unsere Wachstumserwartungen erst vor kurzem nach oben korrigiert. Die Beschäftigung hierzulande ist gestiegen. Das Vertrauen kehrt zurück, die Kreditvergaben steigen. Unsere Risikoaufschläge für Staatsanleihen sind heute niedriger als jene für Spanien. Wenn das nun keine Liste aus einem Land ist, das sich im Aufschwung befindet, dann weiß ich nicht, was es sonst sein soll.

STANDARD: Sie planen eine Steuerentlastung.

Padoan: Das ist eine der Kernstrategien unserer Regierung. Wir haben damit begonnen, die Steuerlast zu senken: Niedrigverdiener bezahlen seit Mitte des Vorjahres um 80 Euro weniger. Diese Maßnahme ist einem großen Teil der Bevölkerung entgegengekommen, was sich bereits in höheren Konsumausgaben niederschlägt. Wir haben auch die Abgabenlast für Unternehmen gesenkt, die Arbeitnehmern langfristige Jobverträge geben. Dies hat zu einem Anstieg bei der Zahl der unbefristeten Arbeitsverträge geführt. Wir werden nun auch Unternehmen und Eigenheimbesitzern eine Entlastung zuteil werden lassen. In Italien besitzen 80 Prozent der Menschen das Haus, in dem sie leben. Daran angeknüpft wird es eine Steuererleichterung geben.

STANDARD: Sie reden über Steueranreize, mit denen mehr Investoren angelockt werden sollen. Das sind aber alles Dinge, die man Griechenland verweigert hat: Athen muss Steuern erhöhen.

Padoan: Sie vermischen da etwas. Während wir Steuern senken, sinken gleichzeitig auch unser Defizit und unsere Verschuldung. Wir kürzen Steuern und Ausgaben zugleich. Italien hat übrigens seit Jahren einen Primärüberschuss (Ausgaben ohne Zinszahlungen, Anm.), mit einer Ausnahme zuletzt im Jahr 2009. Sie sehen, beides kann funktionieren. Griechenland muss seine Finanzen dringend in Ordnung bringen, daran führt kein Weg vorbei.

STANDARD: In der Eurozone ist auch eine Reformdebatte entbrannt. Einige deutsche Ökonomen wollen in den EU-Verträgen die Möglichkeiten eines Euroaustritts festschreiben. Warum sind Sie so dagegen?

Padoan: Dies würde den Euro umgehend schwächen. Wenn der Euro nur mehr eine Option ist, würde in jeder Krise die Option auftauchen, dass ein Land die Währung einfach aufgeben kann. Eine Währungsunion ist eine nicht reversible Zusage. Wenn das anders ist, läuft die Eurozone Gefahr, geschwächt zu werden.

STANDARD: Aber viele sagen, dass erst als der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble den Griechen Anfang Juli bei einem Treffen mit einem Rauswurf auf Zeit gedroht hatte, Athen bereit war, sich zu bewegen.

Padoan: Schäuble hat nicht gedroht. Er hat das Faktum aufgezeigt, dass es ohne eine Einigung zu einem Euro-Austritt kommen könnte. Das war damals eine Tatsache. (INTERVIEW: András Szigetvari, 14.9.2015)