Die neue Hidden Kitchen an der Ecke Ungargasse/Invalidenstraße: verspielte Aromen in denkmalgeschützter Klarheit.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Die Salate sind exakt abgeschmeckt, frisch, fantasievoll zusammengestellt.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Vor bald sechs Jahren sperrte Julia Kutas in einer versteckten Gasse der Innenstadt ein Mittagslokal auf, vor dem sich gleich einmal Schlangen bildeten. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Ist auch irgendwie kein Wunder: Im Inneren der Hidden Kitchen türmen sich komplexe Salate aus täglich neu kombinierten Zutaten, die in weiten Schüsseln auf einer Budel präsentiert werden, dazu gibt es bemerkenswert gute Quiches und die eine oder andere warme Hauptspeise.

Die Kochbücher von Yotam Ottolenghi, der in London (wo Kutas studiert hat) mit ähnlich konzipierten Lokalen zum Star wurde, gab es damals noch nicht auf Deutsch – umso spektakulärer wirkten die Salate mit ihren eklektischen, aus nahöstlichen, italienischen, marokkanischen oder ostasiatischen Küchen entliehenen Aromen. Tolles Essen, das Energie und Punch hat, aber nicht vollmacht – und dafür einen Haufen verschiedener Gemüse, Nüsse und Beeren beinhaltet: Mit "Superfood" dieser Art hatte Kutas einen Nerv getroffen.

Echte Atmosphäre

Es hat gedauert, dafür ist die neue Hidden Kitchen umso beachtlicher geworden. Von versteckt kann aber nicht mehr die Rede sein: Die Ecke am Beginn der Ungargasse, in einem der wenigen Wiener Bürgerhäuser im Stil der Neuen Sachlichkeit, liegt gleich beim Bahnhof Mitte. Was Kutas aus dem einstigen Chinarestaurant gemacht hat, ist spektakulär: Dank der diskreten, aber umso gründlicheren Instandsetzung des Ecklokals wirkt das ganze Haus – ein massiver, lange Zeit etwas zerleppert wirkender Komplex, plötzlich wie neugeboren.

Kutas hat in enger Zusammenarbeit mit dem Denkmalamt renoviert, die Fenster wieder auf Bodenhöhe zurückgebaut, den alten Terrazzoboden unter vier Schichten Plastik und Fliesen freigelegt und dank zehn schlichter Messingluster aus einem Abbruchhaus derselben Epoche für jenes funkelnde Extra gesorgt, das echte Atmosphäre ausmacht. Dazu kamen Tische und Stühle aus einem Schwechater Wirtshaus, entzückend rote Kunstlederfauteuils aus Ungarn und ein verdächtig langer Tisch aus dem einstigen Bestand der Wiener Bestattung: In Kombination mit den frischen Herrlichkeiten, die sich auf der Budel türmen, wirkt das alles sehr stimmig.

Makellose Frische

Ob Spinatblätter mit Fenchel, Nektarine und gerösteten Haselnüssen oder knackiger Wirsing-Slaw mit Trauben, Karotten und Samen, ob Bulgur mit Kirschtomaten und Avocadotahina oder Heurige mit Melanzanikaviar und Estragon: Die Salate sind exakt abgeschmeckt, frisch, fantasievoll zusammengestellt. Auf den Tischen stehen Olivenöl und Balsamessig bereit, außerdem Fleur de Sel, Pfeffermühlen und scharfe Paprikaflocken, ein Umstand, der offenbar Julia Kutas ungarischen Wurzeln zu verdanken ist – hurra. Wer lieber warm isst, bekommt neben den allerorts gelobten Quiches etwa köstlich geschmortes Rind mit Champignons in dunkelwürziger Sauce oder Hühnercurry mit Frischkäse und Gelben Rüben.

Die wichtigste Neuerung betrifft aber das Frühstück, mit dem Kutas täglich ab acht Uhr früh dem nahen Joseph Konkurrenz zu machen gedenkt. Mit richtig köstlichen und vergleichsweise leichten Porridge-Varianten (unwiderstehlich: Kokos-Quinoa-Porridge mit Datteln, Kardamom, gerösteten Mandeln und Heidelbeeren) gelingt ihr das schon ziemlich gut. Das "böse Mandel-Nougat-Croissant", eine wahrhaft teuflische Kreation, bei dem einem buttrig-knusprigen Mandelcroissant Nougat- und Macaron-Creme eingespritzt wird, ist aber der Killer. (Severin Corti, Rondo, 18.9.2015)