Offiziell steht alles zum Besten zwischen Berlin und Paris. Man ziehe am gleichen Strick, meinen Elysée-Berater mit Verweis auf die deutsch-französische Initiative für verbindliche Flüchtlingsquoten am Montag in Brüssel.

In Wahrheit herrscht im französischen Präsidentenpalast dicke Luft. Laut einer am Dienstag veröffentlichten Umfrage stören sich 66 Prozent der Franzosen am Verhalten François Hollandes in der Flüchtlingskrise. Oppositionspolitiker höhnen, er folge der deutschen Kanzlerin wie ein "Anhänger"; Marine Le Pen nennt ihn gar den "Fußabtreter" Merkels.

Tatsache ist, dass der sozialistische Staatschef seinerseits nicht gerade durch einen kontinuierlichen Kurs aufgefallen war. Anfangs dezidiert gegen Aufnahmequoten eingetreten, fügte er sich vergangene Woche dem anderslautenden deutschen Willen. Und gerade als sich Paris auf die generöse Haltung Berlins gegenüber den Flüchtlingen einzustellen begann, legte Berlin den Rückwärtsgang ein. Konsultiert wurde Hollande vorher nicht; nur ein knapper Anruf aus dem deutschen Innenministerium setzte die französischen "Partner" ins Bild.

Déjà-vu für Hollande

Hollande darf sich wie 2013 fühlen, als er US-Präsident Barack Obama versprochen hatte, sich an Luftschlägen gegen das Assad-Regime in Syrien zu beteiligen – um dann in letzter Sekunde von Washington desavouiert zu werden. Jetzt sieht sich der französische Präsident, wie die Umfrage zeigt, dank Deutschland erneut düpiert.

Der Sozialist Benoît Hamon nennt die unstete deutsche Flüchtlingspolitik "sehr beunruhigend"; Linken-Chef Jean-Luc Mélenchon unterstellt Merkel gar "Opportunismus". Auf der Rechten wirft der sonst sehr germanophile Abgeordnete Bruno Le Maire den Deutschen "unilaterales Verhalten" vor.

Merkel habe einen "doppelten Fehler" begangen, indem sie zuerst die Arme zu weit geöffnet habe, um sie dann ohne Absprache mit den Partnerländern wieder zu schließen, moniert der Vertreter der französischen CDU-Schwesterpartei Les Républicains. Sein Parteifreund Eric Ciotti ortet bei der Kanzlerin sogar "Naivität", während die Zeitung "Le Figaro" kommentiert: "Bei Angela Merkel waren wir in Sachen Krisenbewältigung mehr Seriosität und Besonnenheit gewöhnt."

Deutsche "Freunde"

Der konservative Ex-Minister Patrick Devedjian twitterte gar: "Die Deutschen haben unsere Juden genommen, jetzt geben sie uns Araber zurück." Auch wenn der aus Armenien stammende Politiker diesen Spruch sogleich zurücknahm, drückt sich darin der ganze Ärger der französischen Parteien über das – weder vorhersehbare noch abgesprochene – Vorgehen der deutschen "Freunde" aus.

Im Dezember sind in Frankreich Regionalwahlen, und sie gelten auch als wichtiger Stimmungstest für die Präsidentschaftswahlen von 2017. Sowohl die Sozialisten wie auch die Konservativen wissen nicht mehr, wie sie vor ihren Wählern antreten sollen – für neue Asylplätze in den Gemeinden oder für eine Härte, wie sie die Ungarn vorexerzieren?

Rückenwind verspürt dafür Republikanerchef Nicolas Sarkozy, der nun behauptet, er habe schon immer Grenzkontrollen in Frankreich verlangt. Und natürlich die Front-National-Chefin Le Pen, die Ängste vor einer neuen "Invasion" Frankreichs wie zu Zeiten der Völkerwanderung schürt. Dabei konnte das französische Migrationsamt Ofpra, als es Deutschland in München wie vereinbart 1.000 Flüchtlinge "abnehmen" wollte, nicht einmal alle Busse mit Destination Paris füllen. (Stefan Brändle aus Paris, 15.9.2015)