Ein interdisziplinäres Experiment: Sue Spayth (links im Bild) und unbekannte Studierende geben sich 1938 vor der Lee Hall im Blue Ridge Campus des Black Mountain College dem Tanze hin.

Foto: Courtesy of Western Regional Archives, States Archives of North Carolina

Als Hitler in Deutschland an die Macht kam, hatte das Örtchen Black Mountain im US-Bundesstaat North Carolina noch keine tausend Einwohner. Trotzdem sollte es mit der Gründung des legendären Black Mountain College (BMC) 1933 zu einem Angelpunkt für die Kunst des 20. Jahrhunderts werden. Derzeit ist dieser bis heute beispielgebenden, allgemein aber viel zu wenig bekannten Institution eine dokumentarische Ausstellung im Berliner Museum Hamburger Bahnhof gewidmet: Black Mountain. Ein interdisziplinäres Experiment 1933-1957.

Unterrichtet haben am BMC bis 1957 Persönlichkeiten wie Josef und Anni Albers, John Cage, Merce Cunningham, John Dewey, Katherine Litz, Walter Gropius oder Richard Buckminster Fuller.

Zu den bekanntesten Studentinnen und Studenten zählten Robert Rauschenberg, Ruth Asawa, Viola Farber, Harvey Lichtenstein und Cy Twombly. Das College war eine Auffangstätte für Emigranten und Flüchtlinge aus Europa, die der Barbarei von Nationalsozialismus und Krieg entkommen konnten und die die kulturelle Dynamik der späten Moderne in hohem Maß mitbestimmen sollten.

Eine große Errungenschaft waren die progressiven, interdisziplinären Unterrichtsmethoden am College, die nicht nur auf Wissensvermittlung zielten, sondern auch auf soziale Kompetenz und Eigeninitiative von Lehrenden und Studierenden. Dabei konnten Erstere ihren Unterricht frei gestalten, und die Studenten mussten keinem festgezurrten Studienplan folgen.

Darüber hinaus galten Wissenschaften und Künste als gleichberechtigt. Bildende Kunst, Literatur, Musik, Tanz und Architektur sollten zur Ausbildung verantwortungsbewusster Mitglieder der Gesellschaft beitragen. Kurz gesagt, das von der antiideologischen Erziehungslehre des US-Philosophen John Dewey bestimmte College war der Konzeption und Praxis der meisten Universitäten von heute weit voraus.

Gegründet wurde das BMC von dem Altphilologen John Andrew Rice, der im April 1933 wegen seines Widerstands gegen autoritäre Unterrichtsmethoden vom Rollins College, Florida, entlassen worden war.

Mit ihm gingen einige gleichgesinnte Kollegen und Studenten. Bereits Mitte September begann in einer angemieteten Immobilie bei Black Mountain der Unterricht. Ende Juli sperrte Nazideutschland die hochmoderne Kunst-, Design- und Architekturschule Bauhaus zu. Josef Albers, Vizedirektor unter Mies van der Rohe, und seine Frau Anni, die ebenfalls am Bauhaus unterrichtet hatte, folgten im Dezember 1933 einer Einladung, Mitglieder des Black-Mountain-Lehrkörpers zu werden.

Sie waren die ersten Emigranten, die vor der NS-Diktatur flüchteten und an der neuen Schule ihr Leben und ihre Arbeit weiterführen konnten. Es folgten unter anderen die Psychiater Fritz und Anna Moellenhof, die Designer Xanti und Irene Schawinski, der interdisziplinär arbeitende Philosoph Erwin Straus mit seiner Ehefrau Gertrude, einer Konzertpianistin, sowie der Komponist Fritz Cohen, der die Musik für das Tanzstück Der grüne Tisch von Kurt Jooss geschrieben und die Tänzerin Elsa Krahl, die darin die Hauptrolle gab, geheiratet hatte.

Als äußerst einflussreich gilt die Musikabteilung des BMC. Unter den Gastlehrern befand sich neben Ernst Krenek und Hugo Kauder auch der Musikwissenschafter Alfred Einstein. Es heißt, sein weitschichtiger Verwandter Albert Einstein sei Mitte der 1940er-Jahre ebenfalls als Vortragender am BMC vorbeigekommen.

Gesichert ist, dass die Physikerin Natasha Goldowski am College lehrte. Die ehemalige Mitarbeiterin an Robert Oppenheimers "Manhattan Project" warnte bereits 1951 vor übertriebenem Enthusiasmus gegenüber High Speed Computing Machines.

Idealistisches Brennen

Die von Eugen Blume und Gabriele Knapstein kuratierte Ausstellung im Hamburger Bahnhof konfrontiert unsere postmoderne Abgeklärtheit mit der Vitalität der Black-Mountain-Visionäre. Deren Ideen und Formphilosophie sind in den vom Kollektiv raumlabor_berlin gestalteten Räumen anhand von präzise ausgewählten Exponaten und klug gesetztem Textmaterial gut nachvollziehbar.

Weniger überträgt sich das idealistische Brennen für das Experiment und für die direkte Erfahrung als pädagogisches Prinzip, das den performativen Ansatz der BMC-Pädagogik antrieb. Unbedingt empfehlenswert ist daher der Katalog mit seinem befeuernden Text- und Bildmaterial.

Ein kleiner Teil dessen, was das College in den 24 Jahren seiner Existenz (mit)bewirkte, ist gerade in der Ausstellung E.A.T. Experiments in Art and Technology des Salzburger Museums der Moderne zu sehen. Die Einflüsse der BMC-Dynamiken auf bildende Kunst, Literatur, Theater, Performance und Tanz waren umfassend. Die westliche zeitgenössische Choreografie beispielsweise ist entscheidend auf das zurückzuführen, was Cage, Cunningham und auch Schawinski in Black Mountain entwickelten.

Schlussendlich macht die Ausstellung verständlich, wie gut es ist, Flüchtlinge aufzunehmen und sie arbeiten zu lassen. Sie erinnert an die NS-Vertreibungsgeschichte und zeigt indirekt, aber deutlich, dass Europa in umgekehrter Situation nicht versagen darf. (Helmut Ploebst, 15.9.2015)