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US-Soldaten bei einer Übung in Camp Stanley im südkoreanischen Uijeongbu. Im Mai musste das Pentagon einräumen, versehentlich Anthrax verschifft zu haben.

Foto: Reuters / Kim Hong-ji

Zwei Männer in gelben Quarantäneanzügen und Gasmasken schieben einen regungslosen Patienten auf einer Bahre aus dem Hotel, während Sicherheitsleute die Gegend mit Warnbändern absperren und das Gebäude dekontaminieren. Diese Szene trug sich kürzlich mitten in Seoul zu, nur wenige Monate nachdem Südkoreas Hauptstadt von einer MERS-Epidemie heimgesucht wurde.

Dabei war der Hautausschlag auf dem Gesicht des Patienten lediglich geschminkt und es verfolgten Dutzende Generäle auf Plastiksesseln das Szenario. Zum ersten Mal lud die US-Armee letzte Woche gemeinsam mit den südkoreanischen Streitkräften Journalisten zu ihrer alljährlichen Verteidigungsübung gegen chemische Kriegsführung ein. Die Botschaft der Veranstaltung war vor allem ein Fingerzeig in Richtung Norden, und tatsächlich besitzt das Kim-Regime ein ganzes Arsenal aus 13 verschiedenen biologischen Kampfstoffen. Doch der Waffendrill im Süden wurde von ungewohnt heftigen Protesten begleitet. Das hatte zum einen mit dem kontroversen Timing zu tun. Schließlich klangen erst vor wenigen Wochen die größten innerkoreanischen Spannungen seit fünf Jahren ab. Nordkorea wertet die Übung im Süden als Vorbereitung zur Invasion. Südliche Organisationen kritisieren, dass die Gefahr chemischer Giftstoffe bisher vor allem aus den eigenen Reihen stammte.

Antrax-Proben

Erst im Mai musste das Pentagon einräumen, versehentlich aktive Anthrax-Proben an eine Militärbasis südlich von Seoul verschifft zu haben. 22 Soldaten haben damals mit dem tödlichen Milzbranderreger hantiert. Zum Glück zeigten sie nach medizinischen Tests keine Symptome. Das Anthrax sollte laut Angaben des US-Militärs dazu dienen, Sicherheitssysteme zur Identifikation von Giftstoffen zu testen. Der damals noch stellvertretende Verteidigungsminister Ashton Carter entschuldigte sich höchstpersönlich beim südkoreanischen Volk – wohl auch, um die antiamerikanischen Stimmungen nicht aufkochen zu lassen. Doch ein Einzelfall, wie die US-Armee betonte, war der Anthrax-Vorfall nicht.

Recherchen der linksgerichteten Hankyoreh legen nahe, dass die US-Armee auf südkoreanischem Boden bereits seit Juni 2013 mit Botulinumtoxin experimentiert hat, einer der gefährlichsten Biowaffen überhaupt. Dabei zitiert die überregionale Tageszeitung aus öffentlich verfügbaren Publikationen der regierungsnahen US-Organisation National Defense Industrial Association. Die Experimente wurden offenbar durchgeführt, ohne Südkoreas Regierung zu informieren.

Kritiker machen die rechtliche Sonderstellung der US-Streitkräfte in Südkorea dafür verantwortlich: So sind deren Militärgüter von Zollinspektionen befreit. Die Regierung versprach, künftig beim US-Militär um die Offenlegung von Information anzufragen – doch blieb das ein Lippenbekenntnis. Vor Jahrzehnten bereits hat die US-Armee unter strenger Geheimhaltung Entlaubungsmittel entlang der Demarkationslinie versprüht, um nordkoreanische Eindringlinge besser entdecken zu können – und würde es nicht Whistleblower unter den US-Veteranen geben, wäre vieles davon wohl niemals ans Tageslicht gekommen.

US-Whistleblower House

Der 57-jährige Steve House ist der prominenteste unter ihnen. Seit seiner Rückkehr aus Südkorea im Dezember 1979 leidet er unter Leberbeschwerden, Diabetes und grünem Star. Seine Geschichte wirft einen dunklen Schatten auf die Vergangenheit der US-Armee.

Im Jahr 1978, also drei Jahre nach dem Abzug der letzten Marines aus Vietnam, wurde der damals in Südkorea stationierte House laut eigener Aussage dazu beordert, einen Graben von der Größe eines Häuserblocks freizuschaufeln und rund 250 Chemiefässer zu vergraben. Unterstützt wird seine Aussage durch den damals im selben Camp stationierten Robert Travis. Dieser behauptete, dass ebenjene Fässer die Beschriftung "Chemicals type Agent Orange" trugen, das Datum 1967 und die Herkunft Vietnam.

Im letzten Jahr erkannten die US-Gerichte an, dass die Beschwerden der Veteranen von Toxinen herrühren. Die betroffene Militärbasis befindet sich nur 630 Meter vom Fluss Nakdonggag entfernt. Eine Untersuchung beider Länder im Jahr 2011 konnte in drei umliegenden Bächen einen erhöhten, wenn auch ungefährlichen Dioxingehalt feststellen – also ebenjenem Wirkstoff, der in Agent Orange enthalten ist. Laut der Statistik lag die Rate an Krebstoten in der Region im Zeitraum von 2005 bis 2009 um bis zu 18 Prozent über dem Landesschnitt.

Ein Sprecher der US-Streitkräfte in Seoul erklärte bereits im Juni 2011, die Müllhalde mit den chemischen Giftstoffen sei längst entsorgt worden – wo genau, darüber konnten er keine Auskunft geben. (Fabian Kretschmer aus Seoul, 17.9.2015)