Wien – Jede fünfte Frau in Österreich hat seit ihrem 15. Lebensjahr körperliche und/oder sexualisierte Gewalt erlebt, das zeigen die Ergebnisse einer EU-weiten Studie (FRA 2014). "Beziehungsgewalt, familiäre Gewalt und sexualisierte Gewalt zerstören die Gesundheit der Betroffenen, sie benötigen nachweislich mehr medizinische Betreuung und haben ein lebenslanges Trauma zu tragen", so Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely in einer Aussendung, in der auch Sandra Frauenber betont: "Nicht zuletzt aus frauenpolitischer Sicht ist es wichtig, dass der Gesundheitsbereich darauf achtet, genau hinzuschauen."
Die Fachtagung "Gewalt macht krank" am 17. September solle ein Signal an den Gesundheitsbereich darstellen. Bei der Tagung widmen sich Expertinnen aus Berlin und aus Wien der Frage, welche Maßnahmen sich bewähren. Karin Gutierrez-Lobos, Vizerektorin der Medizinischen Universität Wien: "Als Psychiaterin weiß ich um die traumatisierenden Folgen von Gewalterfahrungen wie Angststörungen, Depressionen bis hin zum Suizid". Gerade deshalb sollte Früherkennung und Frühintervention ein medizinisches wie gesellschaftspolitisches Anliegen sein.
Poster für Gesundheitspersonal
Unter dem Titel "Gewalt macht krank!" stellten die beiden Stadträtinnen kürzlich eine Posterkampagne vor, die die Rolle der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Gesundheitsbereich bei der Früherkennung anspricht. Die Initiative ist eine Kooperation von Wiener Programm für Frauengesundheit, 24-Stunden Frauennotruf der Stadt Wien, Wiener Krankenanstaltenverbund und Wiener Ärztekammer. Die Postersujets wenden sich direkt an das Gesundheitspersonal: "Machen Sie den ersten Schritt. Fragen Sie Ihre Patientin, ob sie Hilfe braucht". Die Poster wurden niedergelassenen Allgemeinmedizinern/Allgemeinmedizinerinnen und Gynäkologen/Gynäkologinnen zur Verfügung gestellt sowie Krankenhausabteilungen, die am häufigsten von Gewaltopfern aufgesucht werden: Unfallchirurgie, Notfallmedizin, Gynäkologie und Geburtshilfe, HNO, Augenheilkunde, Dermatologie und Psychiatrie.
Gravierendes Public Health-Risiko
Die Daten der EU-Grundrechteagentur verdeutlichen die Dimension des Problems. Selbst während der Schwangerschaft erleiden 20 Prozent der gewaltbetroffenen Frauen körperliche Gewalt durch den Partner. Dies führt nachweislich zu Frühgeburtlichkeit, Abort sowie neonatalen Gesundheitsproblemen des Babys.
38 Prozent der Österreicherinnen sind psychischer Gewalt durch den (Ex-)Partner ausgesetzt. Die gesundheitlichen Auswirkungen physischer, sexualisierter und psychischer Gewalt gegen Frauen und Mädchen schätzt die WHO als gravierendes Public Health-Risiko ein: Neben Verletzungen und bleibenden körperlichen Behinderungen können unter anderem chronische Schmerzen, sexuell übertragbare Krankheiten, Abortus und Frühgeburten, Posttraumatisches Stresssyndrom, Angststörungen, Depressionen, Suchterkrankungen auf eine Gewalterfahrung zurückgehen.
Routinemäßige Fragen
Krankenhaus- und Gesundheitspersonal sind häufig die ersten Anlaufstellen für ein Gewaltopfer: 27 Prozent der gewaltbetroffenen Frauen in Österreich suchen nach dem gravierendsten Vorfall von Beziehungsgewalt ein Spital oder eine Arztpraxis auf, heißt es in der Aussendung von Gesundheitsstadträtin Wehsely weiter. "Das bedeutet allerdings eine große Herausforderung für das Gesundheitspersonal, da es Frauen in der Regel schwer fällt, von sich aus über Gewalterfahrung zu sprechen", sagt Frauengesundheitsbeauftragte Beate Wimmer-Puchinger. 82 Prozent der Österreicherinnen würden es laut FRA-Studie begrüßen, wenn eine Ärztin bzw. ein Arzt bei entsprechenden Hinweisen die Patientin routinemäßig fragt, ob sie von Gewalt betroffen ist. (red, 17.9.2015)