"7 pleasures": die Politik des sensationellen Sex.

Foto: Steirischer Herbst

Graz – Im Who's who des europäischen Tanzes seit Mitte der Nullerjahre würde die Dänin Mette Ingvartsen wohl zu den zehn wichtigsten Choreografierenden zählen. Zu Beginn ihrer Karriere galt die heute 35-Jährige als Wunderkind. Bereits ihr erstes Stück, Manual Focus, das sie 2003 noch während ihrer Ausbildungszeit in Anne Teresa De Keersmaekers Brüsseler Akademie P.A.R.T.S schuf, brachte den internationalen Durchbruch.

Dann folgte eine exemplarisch innovative Arbeit nach der anderen, darunter 50/50, the making of the making of, evaporated landscape und The Light Forest. Jetzt arbeitet Ingvartsen an einem Stückzyklus mit dem Titel The Red Pieces, der die Zustände der Sexualität im gegenwärtigen Europa zum Thema hat. Der – nach dem Piloten 69 positions – zweite Teil ist nun beim Steirischen Herbst zu sehen: 7 pleasures.

Ingvartsen hat ein Faible für Herausforderungen. Sie ist der zweiten Generation der konzeptuellen Choreografie zuzurechnen. Yvonne Rainers Forderung nach einem No to spectacle (1965), der Vertreter der ersten Generation wie Xavier Le Roy noch die Stange hielten, hielt sie 2004 ein Yes Manifesto entgegen. Mit diesem Programm identifizieren sich Tänzerinnen und Tänzer bis heute. Wobei Ingvartsen listig ein explizites "Yes to Spectacle" unterschlägt. Das passt dann eher zur aktuellen Tanzkultur, der Figuren wie François Chaignaud und Cecilia Bengolea oder Florentina Holzinger und Vincent Riebeek zuzuzählen sind.

Diese setzen sich intensiv, oft auch exzessiv mit Sex auseinander, vor allem mit einer queeren Grundhaltung, die letztlich aus der Burleske stammt. Wenn Mette Ingvartsen nun mit ihren Red Pieces das Rotlichtmilieu des Mediums Körper anvisiert, dann nicht, um Sexyness auf der Bühne zu erzeugen, sondern weil sie dem Dahinter auf den Grund gehen will, der Politik des sensationellen Sex und des unendlichen Vergnügens.

Bei 7 pleasures geschieht das mit kritischem Blick auf das Kama (sanskr. "Verlangen") hinter den Sutren ("Fäden" im Sinn von Verstexten) der Lustarbeit. Dafür wendet sich eine Gruppe von zwölf Tänzerinnen und Tänzern gegen etliche Klischees, die Nacktheit und Sex heute verkrusten. (ploe, Spezial, 18.9.2015)