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Wer lange arbeitslos ist, schlittert meist in die Armut.

Foto: apa / neubauer

STANDARD: Wer ist in Österreich arm?

Heitzmann: Es sind nicht immer dieselben Menschen, aber immer dieselben Gruppen. Langzeitarbeitslose, Alleinerzieher, aber auch Großfamilien mit mehr als drei Kindern. Migranten, egal ob sie eingebürgert sind oder nicht, sind eher arm. Oft sind es auch Menschen, die gleich mehrere dieser Kriterien erfüllen. Also etwa arbeitslose Migranten mit einer großen Familie. In Österreich gibt es gewisse Standards – wenn man weit hinter diesen zurückbleibt, gilt man als armutsgefährdet. Wir sprechen eher von Armutsgefährdung als von der Armut selber. Viele denken an Afrika, wenn sie an absolute Armut denken.

STANDARD: Was heißt es, in einem so reichen Land armutsgefährdet zu sein?

Heitzmann: Wenn etwa die Waschmaschine kaputt ist, hat man Probleme, sie zu ersetzen. Unerwartete Ausgaben sind also schwer zu bewältigen. Oft muss man Schulden aufnehmen, das kann zu einer negativen Spirale führen. Wenn ich wenig Geld habe, kann ich nicht ins Kino gehen, keine Freunde einladen, denn die sind andere Standards gewohnt. Das führt zu Einsamkeit. Die soziale Teilhabe ist aber auch wichtig, um einen Job zu finden, denn dazu brauche ich Beziehungen. Das kommt alles zusammen.

STANDARD: Migranten kommen oft aus ärmeren Ländern, sie gelten für österreichische Verhältnisse als armutsgefährdet, ihnen geht es hier aber deutlich besser.

Heitzmann: Ja, aber da sind wir wieder beim relativen Konzept. Die Leute leben nicht mehr in Rumänien oder der Türkei. Sie leben in Österreich und müssen hier Miete bezahlen und einkaufen. Auch wenn Migranten oft einen großen Vorsprung gegenüber ihrem Heimatland haben, haben sie für Österreich manchmal deutlich zu wenig. Es geht auch um die nächste Generation. Was haben deren Kinder und Kindeskinder dann für Chancen? Armut wird in Österreich sehr stark vererbt. Das fängt mit der Entscheidung Hauptschule oder Gymnasium an. Kostenlose ganztägige Kindergärten in ganz Österreich wären sehr wichtig. Langfristig geht es darum, wie man Lebenschancen fairer verteilt.

STANDARD: Wer in Österreich armutsgefährdet ist, hat also wenige Chancen, da wieder herauszukommen?

Heitzmann: Die Menschen pendeln meist um die Armutsgrenze herum. Einmal fallen sie in die Statistik hinein, dann wieder nicht. Viele kommen aber nicht nachhaltig aus dieser Lage heraus. Es ist problematisch für einen Wohlfahrtsstaat wie den österreichischen, dass es immer dieselben Bevölkerungsgruppen sind, die weniger Chancen haben. Das wird akzeptiert, wäre aber politisch steuerbar.

STANDARD: Dabei verteilt Österreich durch das Sozialsystem doch stark um.

Heitzmann: Ja, wir verteilen viel um. Ohne Sozialleistungen wäre die Armutsgefährdungsquote bei 25 Prozent, jetzt ist sie bei 14 Prozent. Aber wir haben einen konservativen Sozialstaat. Sehr viele Leistungen wie die Pension oder das Arbeitslosengeld hängen vom vorangegangenen Einkommen ab. Die hohe Pension kriegt der hohe Beamte, der immer viel verdient hat. Diese Logik ist 100 Jahre alt und schwer zu ändern. Wir könnten die Armutsgefährdung weiter senken, würden wir nur mehr umverteilen.

STANDARD: Gibt es Vorbilder?

Heitzmann: Vor allem in den skandinavischen Ländern ist die Armutsgefährdung deutlich weniger verbreitet. Sie verteilen einfach stärker um. In Dänemark gibt es etwa eine vom Einkommen unabhängige Grundpension. In Österreich haben wir ein Altersarmutsproblem, vor allem bei alleine lebenden Frauen. Dort liegt die Armutsgefährdungsquote bei 22 Prozent.

STANDARD: Hat sich die Lage in den Krisenjahren verschlechtert?

Heitzmann: Nein, die Zahl der Armutsgefährdeten ist in etwa konstant. Dazu muss man sagen, dass die Schwelle dafür höher wird. Wer alleine wohnt, gilt heute als armutsgefährdet, wenn er weniger als 1.160 Euro im Monat zur Verfügung hat. Vor einigen Jahren war man mit diesem Einkommen noch deutlich über der Grenze. Die Schere nach oben geht aber auf, die Vermögen legen viel stärker zu, während unten kaum etwas dazukommt. (Andreas Sator, 18.9.2015)