Die Mobilisierung Alleinerziehender ist schwer. Für politische Kämpfe bleibt keine Zeit.

Foto: Andy Urban

Maria Stern hat ihre Geschichte schon oft erzählt: Rund eineinhalb Jahre lebte die Lehrerin und alleinerziehende Mutter dreier Kinder in Armut, da sie in dieser Zeit weder Alimente noch einen Unterhaltsvorschuss bekam. Der tägliche Überlebenskampf, das "Hamsterrad im Kopf" haben sie geprägt. Stellvertretend für viele andere Alleinerziehende in Österreich trägt Stern ihre Erlebnisse in Fernsehdiskussionen und macht sie zum Thema ihrer künstlerischen Arbeit.

Dass ihr Fall kein Einzelschicksal ist, belegen statistische Erhebungen seit Jahren. 110.000 Ein-Eltern-Familien mit Kindern unter 15 Jahren lebten laut Statistik Austria 2014 in Österreich, 93 Prozent von ihnen waren Frauen. Diese sind einem mehr als doppelt so hohen Armutsgefährdungsrisiko als die österreichische Gesamtbevölkerung ausgesetzt, wurde in einer 2011 erschienenen Studie im Auftrag des Sozialministeriums errechnet. Alleinerziehende sind in vielen Bereichen ihrer Lebensführung benachteiligt: Nur die Hälfte der Alleinerziehenden kann sich eine Woche Urlaub pro Jahr leisten, für 23 Prozent ist der Kauf neuer Kleidung nicht leistbar, zehn Prozent müssen aus Kostengründen sogar darauf verzichten, ihre Wohnung ausreichend zu heizen.

Unterhaltslücken und Reformvorschläge

Ein wesentlicher Faktor, der die ökonomische Situation Alleinerziehender bestimmt, sind Unterhaltszahlungen. Eine umfassende Datenhebung dazu fehlt in Österreich, Umfragen des Salzburger Frauenbüros und der Plattform für Alleinerziehende (ÖPA) legen nahe, dass rund die Hälfte der Kinder weniger Unterhalt als die empfohlenen Durchschnittsbedarfssätze bekommen. Nur 52 Prozent gaben in der Umfrage der ÖPA an, regelmäßig Unterhaltzahlungen zu erhalten. Kommt ein Elternteil der Verpflichtung zur Unterhaltszahlung nicht nach, kann ein staatlicher Vorschuss beantragt werden. Das betreffende Unterhaltsvorschussgesetz weist jedoch Lücken auf.

Maria Stern hat eine Petition zur Modernisierung des Gesetzes gestartet, sie fordert eine Kindesunterhaltssicherung. Die im Paragraf 19 geregelte Möglichkeit für Unterhaltszahlende, einen Antrag auf Herabsetzung des Unterhalts zu stellen, hat ihr selbst aufgrund der gerichtlichen Überprüfung dieser Herabsetzung lange Wartezeiten auf einen angemessenen Unterhaltsvorschuss beschert.

Die Plattform für Alleinerziehende hat im Juni eine Liste mit Reformvorschlägen vorgelegt. "Die Anhebung des Unterhaltsvorschusses bis zum 19. Lebensjahr ist aktuell eine wichtige Forderung von uns", sagt Doris Pettighofer, Leiterin der Plattform. Betroffen sind hiervon insbesondere SchülerInnen einer berufsbildenden Schule, die im Maturajahr keinen Vorschuss erhalten, obwohl der Unterhaltsanspruch weiter besteht. Entstanden ist diese Situation durch die Herabsetzung der Volljährigkeit, es fehlt somit auch eine Vollzugsstelle, da die Kinder- und Jugendhilfe nur bis zum 18. Lebensjahr zuständig ist. Das Gesetz beinhaltet weitere Fallstricke, die ÖPA fordert etwa die Aufstockung niedriger Vorschüsse von z.B. nur 30 Euro und einen Anspruch für Halbwaisen, deren unterhaltspflichtiger Elternteil zu wenig Versicherungszeiten erworben hat.

Versäumnisse der Regierung

Reformbedarf sieht auch die Bundesregierung. Im Arbeitsprogramm ist unter dem Titel "Frauen ein selbstbestimmtes, finanziell unabhängiges und gewaltfreies Leben ermöglichen" die Weiterentwicklung des Unterhaltsvorschussgesetzes als zu ergreifende Maßnahme aufgelistet. Bereits vor einem Jahr hätte sich eine Arbeitsgruppe mit VertreterInnen aus Justiz-, Familien- und Frauenministerium mit der Thematik beschäftigen sollen. Die Problematik sei Minister Brandstetter bewusst, es komme jedoch zu Verzögerungen bei der Bearbeitung, heißt es aus dem Büro des Justizministeriums. Zur ebenfalls im Regierungsprogramm verankerten Kinderkostenanalyse habe sich hingegen bereits eine Arbeitsgruppe getroffen, sagt ein Sprecher des Ministeriums für Bildung und Frauen. Sie würde anschließend als Grundlage für eine Überarbeitung des Gesetzes dienen.

Der selbstbestimmten Existenzsicherung Alleinerziehender stehen aber auch andere Hürden im Weg. Die niedrigen Löhne in frauendominierten Berufen, fehlende Kinderbetreuungseinrichtungen und Ganztagsschulen treffen Alleinerzieherinnen noch härter als andere Frauen. "Alleinerziehende haben einfach keine Zeit für ein Halbtagsschulsystem. Sie müssen das Familieneinkommen sichern", sagt Doris Pettighofer. Alleinerzieherinnen sind häufiger vollzeiterwerbstätig als Frauen in Partnerschaften, ihr Wiedereinstieg nach Karenzzeiten gestaltet sich laut einem Monitoring der Arbeiterkammer jedoch aufgrund der Vereinbarkeitsproblematik schwieriger. Die bei Wiedereinsteigerinnen beliebte Teilzeitarbeit ist für sie meist keine Option.

Der Männlicher-Ernährer-Haushalt

Diese Probleme sind indessen hausgemacht, weiß Martin Schenk, Sozialexperte und Mitbegründer der Armutskonferenz. "Alleinerziehende kommen in den Armutsstatistiken skandinavischer Staaten praktisch nicht vor, das ist ein Phänomen der Bismarck'schen Sozialstaaten Europas wie Österreich und Deutschland", so Schenk. Ursache hierfür sei das Prinzip des Männlicher-Ernährer-Haushalts, das immer noch stark im hiesigen Sozialsystem verankert sei. Die Idee einer eigenständigen Existenzsicherung müsse hingegen erst wachsen. Eine Kindergrundsicherung unabhängig von der Familienform, wie sie die Plattform für Alleinerziehende fordert, hält Schenk für eine mögliche Alternative. "Wir wissen allerdings aus der Armutsforschung, dass Geldleistungen immer mit öffentlichen Dienstleistungen wie Kinderbetreuung und Altenpflege kombiniert werden müssen." Auch Ansprechpersonen, ein dichtes soziales Netz seien entscheidend. Bei Menschen, die in Armut leben, reduziere sich der FreundInnenkreis innerhalb eines Jahres im Durchschnitt auf eine Person.

Fehlende Lobby

Von sozialer Isolation und Überforderung wissen auch Doris Pettighofer und Maria Stern zu berichten. Die Mobilisierung Alleinerziehender für politische Kämpfe gestalte sich äußerst schwierig. "Viele würden gerne etwas tun, aber sie schaffen es einfach nicht", sagt Pettighofer. Die Plattform für Alleinerziehende verfügt – wie so viele Fraueneinrichtungen – nur über zwei Teilzeitangestellte und muss sich auf ehrenamtliche Beteiligung stützen. "Eine Lobby ist so stark, wie eine Klientel zahlungskräftig ist – und das sind Alleinerziehende einfach nicht." Auch Maria Stern ist es gewohnt, Einzelkämpferin zu sein. "Wenn im Herbst bei den Lohnrunden die Metaller diskutieren, denke ich mir immer wieder: Wenn Alleinerziehende so auf den Tisch hauen würden, wäre die Situation eine andere."

Die Aktivistin versucht aktuell, FreundInnen und Angehörige von Betroffenen zu mobilisieren. Fallgeschichten, die ihr übermittelt werden, schickt sie anonymisiert an Medien und PolitikerInnen weiter. "So langsam werde ich ungeduldig, aber die Vernunft und der Solidaritätsgedanke, mit dem ich aufgewachsen bin, treiben mich an, weiterzumachen", sagt Stern. Sie verweist auf die hohen Folgekosten von Kinderarmut wie chronische Krankheiten und erhöhte Arbeitslosigkeit: "Und die bezahlen letztendlich wir SteuerzahlerInnen." (Brigitte Theißl, 21.9.2015)