"Grenzkontrolle!" titelte die tschechische Tageszeitung "Lidové noviny" in großen Lettern und deutscher Sprache, nachdem Berlin vor einer Woche angekündigt hatte, das Schengener Abkommen wegen der Flüchtlingskrise auszusetzen. An den Kiosken mag der deutsche Aufmacher als Blickfang funktioniert haben, doch was die Bereitschaft betrifft, den freien Personenverkehr zu kippen, so sind auch die Tschechen nicht zimperlich: Angesichts der Bilder von provisorischen Zeltlagern und überfüllten Bahnhöfen in anderen Ländern sprachen sich in einer Umfrage des tschechischen Fernsehens jüngst 74 Prozent für Grenzkontrollen aus.

Ähnlich die Stimmung in der Slowakei: In Gabčíkovo, wo am Donnerstag die ersten syrischen Flüchtlinge aus Österreich eintrafen, hatten in einem nicht bindenden Referendum 97 Prozent gegen die vorübergehende Unterbringung von 500 Asylwerbern aus Traiskirchen gestimmt. Die slowakische Regierung ist strikt gegen die von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen verbindlichen Quoten und will auf freiwilliger Basis nur 100 Menschen dauerhaft Asyl gewähren.

"Reine Abschreckungsstrategie"

Tschechiens Regierung glaubt ebenfalls, dass die Flüchtlinge ohnehin nicht im Land bleiben möchten, und argumentiert damit gegen einen fixen Verteilungsschlüssel: "Wie sollen wir tausende Menschen aufnehmen, die gar nicht bei uns sein wollen?", fragt der sozialdemokratische Innenminister Milan Chovanec. "99 Prozent wollen nach Deutschland!"

Der Weg dorthin ist jedoch laut Hilfsorganisationen voller Hürden. Schutzsuchende, die in Tschechien aufgegriffen werden, würden häufig in Abschiebelager "mit eindeutigem Gefängnischarakter" gesteckt, erklärt Martin Rozumek, Chef der Prager Organisation für Flüchtlingshilfe im Gespräch mit dem STANDARD. Die Rechtsgrundlage für ihre Inhaftierung fehle jedoch meist, da eine Rückführung nach Ungarn oder gar Syrien derzeit keine Option sei. "Eine reine Abschreckungsstrategie also", meint der Jurist.

Die meisten würden nach einigen Wochen einfach wieder freigelassen und setzen ihre Reise nach Deutschland fort. In der Regel seien sie dann ärmer als vorher: "Der Staat verrechnet pro Person und Tag 250 Kronen (circa neun Euro, Anm.) für die Unterbringung", berichtet Monika Horáková von der Hilfsorganisation Hlavák, die am Prager Hauptbahnhof Flüchtlinge mit Essen und Kleidung versorgt.

Freundliches Antlitz

Jiří Dienstbier, tschechischer Minister für Menschenrechte, plädierte am Mittwoch auf einer Pressekonferenz in Prag dafür, in der Flüchtlingsfrage ein "freundliches Antlitz" zu zeigen. Verbindliche Quoten lehnt zwar auch er ab, Tschechien könne aber freiwillig bis zu 15.000 Flüchtlinge aufnehmen – weit mehr als die 4300 aus dem Kommissionsvorschlag.

Das Nein des Innenministers kam prompt. Es handle sich um eine "persönliche Initiative" Dienstbiers, erklärte Parteifreund Chovanec: "Ich wusste gar nicht, dass der Kollege eine so große Wohnung hat." (Gerald Schubert, 19.9.2015)