Eines ist Martin Patzelt ganz wichtig: "Ich bin kein Gutmensch. Mein Handeln ist politisch motiviert." Der deutsche Bundestagsabgeordnete hat sich für eine in Politikerkreisen ziemlich unkonventionelle Art der Flüchtlingshilfe entschieden.
Seit Juni wohnen in seinem Privathaus in Briesen, einem 2000-Einwohner-Ort in Brandenburg, zwei junge Asylwerber aus Eritrea: Awet (24) und Haben (19). "Wir teilen fast alles", sagt der Sozialpädagoge über die WG. Er und seine Frau haben fünf Kinder, vier davon sind schon aus dem Haus. Ein Sohn lebt noch im Dachgeschoß, im anderen Zimmer haben Awet und Haben Platz gefunden.
Das Bad benutzen sie gemeinsam, zum Essen kommen alle im Erdgeschoß, wo das Ehepaar Patzelt lebt, zusammen. "Abschließen gibt es bei uns nicht. Wir haben ein offenes Haus", sagt der 68-jährige CDU-Mann, der seit 2013 im Deutschen Bundestag sitzt, von 2002 bis 2013 Bürgermeister von Frankfurt/Oder war und in der Region tief verwurzelt ist.
Wenn er sonntags in die Kirche geht, dann dauert der Heimweg ziemlich lange. Da ein Schwätzchen, dort eine Begrüßung, Patzelt kennt viele Leute und ist dank seiner Beliebtheit im "roten Brandenburg" mit 33 Prozent als CDU-Direktkandidat in den Bundestag gewählt worden. Eines Tages nach dem Kirchgang fielen ihm die beiden Männer aus Eritrea auf.
Allein in der Kirche
"Es hat mich sehr berührt", erzählt er, "da kommen die beiden zu uns in die Messe, und dann stehen sie ganz allein herum." Patzelt und seine Frau suchen das Gespräch mit ihnen, laden sie zum Mittagessen ein, und irgendwann, als man schon ganz gut bekannt ist, fragen die beiden: "Können wir nicht bei euch wohnen?"
Die Patzelts zögern nicht lange, schon immer haben sie für kurze Zeit Studenten der 25 Kilometer entfernten Europa-Uni Frankfurt/ Oder aufgenommen. Sie bitten Awet und Haben in ihr Haus – wohl wissend, dass die Herausforderung diesmal größer wird.
Im Juli verlassen die beiden das Asylwerberheim in Brandenburg und ziehen ins Dachgeschoß. Seither hat sich einiges im Leben des Politikers verändert. "Wir haben jetzt durch die regelmäßigen Mahlzeiten wieder mehr Familienleben. Awet und Haben verlangen einfach Zeit, sie wollen mit uns zusammen sein", sagt er. Irgendwann haben sie sich auch entschieden, die Patzelts "Mama und Papa" zu nennen. "Das war schon ein Moment des persönlichen Glücks", erinnert sich der Abgeordnete. Er verhehlt aber auch nicht, dass es auch Situationen gibt, in denen man sich einfach auf die Nerven geht – so wie in anderen Familien auch.
Jeder tut, was er kann
Doch Patzelt ist überzeugt, dass seine Methode nicht die schlechteste ist. Nicht dass er jetzt von jedem seiner Abgeordnetenkollegen erwartet, auch eine WG mit Flüchtlingen zu gründen. Sein Motto lautet vielmehr: "Jeder tut, was er kann, und steckt damit andere an." Er plädiert dafür, Flüchtlinge in "kleinteiligen Strukturen" unterzubringen: eben auch in einem Dorf wie dem seinen.
Sie aus der Anonymität von Flüchtlingsunterkünften herauszuholen hat für Patzelt einen großen Vorteil: "Sie werden viel besser integriert, weil sie als Menschen sichtbar sind." Awet und Haben fangen demnächst im Volleyballverein an, es waren die Vereinsmitglieder, die sie angesprochen haben.
Der pensionierten Deutschlehrerin, die zunächst nur einmal in der Woche mit ihnen üben wollte, gefällt der Unterricht nun so gut, dass sie ihn fünfmal in der Woche anbietet. Awet hilft ehrenamtlich im Gemeindezentrum aus, Haben macht ein Praktikum im Supermarkt. "Wir müssen weg von diesen Massenunterkünften", sagt Patzelt. Denn: "Diese machen auch vielen Deutschen Angst, und dann kommt es zu Polarisierung."
"Volksverräter"
Er selbst wurde zunächst massiv per Mail als "Volksverräter" beschimpft, es gingen sogar Morddrohungen ein, und Bundestagskollegen schüttelten den Kopf. "Ich wähle dich nie wieder", haben ihn Bürgerinnen und Bürger im Wahlkreis angeschrien.
Doch Patzelt blieb bei seiner Entscheidung, denn: "Ich möchte Angst abbauen." Inzwischen spürt er, wie die Wertschätzung wächst – nicht nur im Bundestag, sondern auch bei ihm daheim im Dorf. Nicht alle, aber mehr und mehr Mitbürger sind der Meinung: "Das ist gar nicht schlecht, was du da machst."