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Verloren, aber immerhin gekämpft: Nach der spektakulären Kehrtwende gegenüber den Gläubigern versucht Alexis Tsipras, seine Wiederwahl zu erreichen. Letzte Umfragen sehen seine Linkspartei Syriza nur noch gleichauf mit der konservativen Nea Dimokratia.

Foto: REUTERS / Alkis Konstantinidis

Der eine ist ein tragischer Held, gefährlich nah an der Grenze zur Lächerlichkeit. Der andere mimt die neue Vaterfigur der Nation, bescheiden und versöhnlich. Alexis Tsipras gegen Evangelis Meimarakis heißt das Duell. Links gegen Rechts, Jung gegen Alt. Die Griechen sollen am Sonntag ein weiteres Mal an die Urnen, um nach einem halben Jahr Kampf mit den internationalen Gläubigern eine neue Regierung zu bestimmen. Diese muss das Spar- und Reformprogramm umsetzen, das Brüssel und die Euroländer mit dem dritten großen Hilfskredit für die Griechen seit 2010 festgelegt haben.

"Tsipras ist in einer zwiespältigen Verfassung", sagt Kostas Elef theriou, ein Politikwissenschafter in Athen und guter Kenner des linken Rands der griechischen Parteienlandschaft. Den Gemütszustand des ehemaligen Premiers fasst er so zusammen: "Ich habe meine linken Überzeugungen verraten, aber ich hatte keine anderen Möglichkeiten."

Historischer Sieg – oder Fußnote der Geschichte

Alexis Tsipras ist ein Mann mit dramatischer Fallhöhe. Vom neuen Star der europäischen Linken zum Pudel der deutschen Kanzlerin. So sehen das jetzt die enttäuschten Anhänger von Syriza, dem Kleinparteienbündnis von Marxisten, Maoisten und Reformkommunisten in Griechenland, das bei fünf Prozent herumgrun delte und im Jänner die Parlamentswahlen gewann. 36,3 Prozent.

Ein historischer Sieg. Oder aber eine Pleite, eine Fußnote der griechischen Geschichte: Am Vormittag des 13. Juli, nach einer langen Nacht mit den Chefs der Euroländer in Brüssel, ist Tsipras geschlagen. Er akzeptiert einen dritten Milliardenkredit mit harten Auflagen. Exakt das Gegenteil dessen, was er den Griechen versprochen hatte.

"Wir sind regierungsfähig"

Mitarbeiter der Syriza-Regierung und aus dem Umfeld des 41-jährigen Expremiers zeichnen ein ungeschminktes Bild von den turbulenten sieben Monaten an der Macht, vom 26. Jänner bis zum 27. August: anfängliche Desorganisation, Fehlentscheidungen, Überforderung durch die komplexen Verhandlungen mit den Gläubigern.

Zu ihrer Unerfahrenheit stehen sie. "Wir hatten große Verluste und kleine Gewinne", sagt ein Mitarbeiter, "aber wir haben an Erfahrung gewonnen. Wir sind regierungsfähig."

Tödliche Umarmungen

Das ist die Kerbe, in die Evangelis Meimarakis nun immer wieder schlägt. "Die Griechen wollen kein Experiment mit Syriza mehr, sie wollen keinen Populismus", beschwörte der Spitzenkandidat der Konservativen seine Zuhörer bei der Abschlusskundgebung auf dem Omonia-Platz in Athen: "Die Zeit der Inkompetenz ist vorbei. Am Sonntag endet das Syriza-Experiment." Meimarakis und seine Nea Dimokratia liegen gleichauf mit dem Linksbündnis. Den Ort für den letzten Wahlkampfauftritt in der Athener Innenstadt hat der 61-Jährige bewusst gewählt. Omonia heißt Eintracht. Er sei bereit, am Montag eine große Koalition mit Tsipras zu bilden, sagt Meimarakis. Tsipras, der einstige Revolutionär, will das nicht. Mit tödlichen Umarmungen kennt er sich mittlerweile aus.

Von allen Fehlern, die Alexis Tsipras gemacht hat, ist Yanis Varoufakis wohl der eine entscheidende gewesen. Die Wahl des eitlen Wirtschaftsprofessors zum Finanzminister brachte Griechenland bei den Verhandlungen mit den Gläubigern auf das falsche Gleis und kostete wertvolle Zeit. Tsipras und Varoufakis haben Ferienhäuser auf Ägina, einer Insel im Saronischen Golf vor Athen. Man trifft sich gern, der Uniprofessor mit dem Lehrauftrag in den USA erklärt dem linken Parteichef die Welt. "Tsipras war fasziniert von ihm", sagte Yiannis Panousis, der Ex-Polizeiminister, ein unabhängiger Kopf. Tsipras habe die Kontrolle verloren, obwohl er vor Varoufakis gewarnt worden sei.

Informationen gesteuert

Ehemalige Mitarbeiter im Premiersamt finden nun kritische Worte für den damaligen Finanzminister. In den ersten zwei Regierungsmonaten habe Varoufakis den Informationsfluss aus der Eurogruppe gesteuert. Er war es, der Tsipras den Fortgang der Finanzverhandlungen präsentiert habe. Erst im Juli, nach dem Referendum über ein Kreditangebot der Gläubiger, wechselt Tsipras seinen Minister aus und ersetzt ihn durch Euklid Tsakalotos. Dieser steht ironischerweise deutlich weiter links als Varoufakis, fühlt sich aber verpflichtet, den Hinauswurf Griechenlands aus der Eurozone zu verhindern.

Ein Viertel von Partei und Fraktion ist nach der Annahme der ersten neuen Spargesetze weggebrochen und machte die vorgezogenen Wahlen am Sonntag notwendig. Viele der Pensionisten hat Tsipras verloren, weil er die weiteren Kürzungen beim Altersgeld nicht verhindern konnte. Auf die jungen Griechen kommt es nun an, sagen die Wahlforscher. Studenten und junge Berufstätige hatten der radikalen Linken Anfang des Jahres zum Sieg verholfen. "Einige Syriza-Wähler sind jetzt extrem frustriert", sagt Elefthe riou, der linke Politologe. "Aber wenn sie sich umschauen, sehen sie, es gibt keine Alternative. Alle anderen sind alt." (Markus Bernath aus Athen, 20.9.2015)