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An Plänen zur Heiligsprechung Junípero Serras gibt es Kritik.

Foto: AP / David Royal

Spricht Val Lopez vom Papst, hält er zunächst eine kleine Laudatio. Wie Franziskus in seiner Umwelt-Enzyklika zu nachhaltigem Lebenswandel aufrief und Konsumrausch kritisierte, das habe ihn doch sehr an die Weisheiten seiner Ahnen erinnert. "Indianischer kann man kaum denken", sagt der Sprecher des Stammes der Amah Mutsun, während er in einem schlichten Restaurant mit dem hochtrabenden Namen Yosemite Falls auf sein Frühstück wartet.

Als der Pontifex im Juli in Bo livien um Verzeihung bat für das Leid, das koloniale Eroberer den Ureinwohnern Amerikas im Namen der Kirche zufügten, zog Lopez in Gedanken den Hut vor ihm. "Umso weniger verstehe ich, war um er Junípero Serra auf den Sockel eines Heiligen hebt." Ob Kalifornien nicht zähle, will er wissen, ob das Leid seiner Vorfahren nicht der Bemerkung wert sei.

Pionier am Ende der Welt

Serra, ein Franziskaner, 1713 auf der Insel Mallorca geboren, wurde 1749 nach Mexiko entsandt, er sollte Indianer zum christlichen Glauben bekehren. 1769 brach er nach Alta California auf, heute das Kalifornien Hollywoods und des Silicon Valley. Damals, zumindest aus spanischer Sicht, so etwas wie das Ende der Welt. Und Serra war Pionier. Als er 1784 im Alter von 70 Jahren starb, hatte er entlang der Küste neun Missionen gegründet.

Im Kapitol zu Washington ist dem kleinen, drahtigen Geistlichen eine Statue gewidmet, eine von zweien, die den Pazifikstaat repräsentieren – die andere zeigt Ronald Reagan. In Serras Hauptquartier, der Mission San Carlos Borromeo de Carmelo in Carmel-by-the-Sea, drängen sich die Besucher. Honigfarbener Stein, Ziegeldächer, Brunnen, Palmen, Weinreben: ein Postkartenidyll. Drinnen ist Serras Grabstein so schlicht, wie Zeitzeugen den asketischen Mann schildern. Draußen, durch kleine Rechtecke aus Muscheln markiert, die Gräber der Indianer. Namenlos.

"Unsere Leute waren Sklaven in diesen Missionen", bürstet Val Lopez gegen den touristischen Strich. Spanische Soldaten ritten hoch zu Ross ein, Angst und Respekt zugleich einflößend, weil man Pferde nicht kannte. Frauen und Mädchen mussten, an den Daumen aneinandergebunden, in langer Kolonne in die Missionen marschieren. In der Enge schäbiger Quartiere wurden aus Krankheiten, die mit den neuen Herren ins Land kamen, Epidemien.

Nur nicht zu erkennen geben

Die Amah Mutsun wurden damals so stark dezimiert, dass sie fast in Vergessenheit gerieten. Von Tausenden sind rund 600 regis trierte Mitglieder übrig geblieben, kaum einer wohnt noch im Toskana-Ambiente der Küste. "Zu teuer für unsereinen", sagt Lopez. Der 63-Jährige, grauer Haarkranz, kräftige Ringerfigur, trug die Uniform der Autobahnpolizei, bevor er in Pension ging und Zeit fand, die Geschichte der Amah Mutsun aufzuarbeiten. Einiges stammt aus Archiven, vieles aus mündlichen Überlieferungen. Seine Großmutter schärfte ihm einst noch ein, sich nur ja nicht "als Indianer zu erkennen zu geben". Das sei zu gefährlich. Wenn jemand frage, sei er Mexikaner. Kein Wunder, dass der alte Familienname Tepetua irgendwann verlorenging.

Serra also, erzählt Lopez, kannte keine Gnade, wenn seinen Ar beitssklaven eine Lektion erteilt werden sollte. Einmal bat er den spanischen Militärgouverneur, vier Entlaufene in Gewahrsam zu nehmen, sie einen Monat an den Füßen zu fesseln und mit Peitschenhieben zu bestrafen. "Zwei- oder dreimaliges Auspeitschen, wie es Eure Lordschaft an verschiedenen Tagen anweisen könnte, sollte ihnen als Warnung dienen und allen anderen von spirituellem Nutzen sein", schrieb Serra am 31. Juli 1775. Lopez hat aus dem Brief zitiert, als er den Pontifex bat, auf die Heiligsprechung zu verzichten.

Viele Probleme wegen historischen Traumas

Rund 150.000 Menschen, so Lopez, sind in Alta California von den Missionaren versklavt worden. Serra persönlich mag niemanden gequält haben, er mag sich sogar, wie vergilbte Dokumente belegen, gegen Exzesse verwahrt haben. "Aber er war der Architekt des Systems, er war nicht irgendein Priester." Donna Schindler, eine Psychologin, die Lopez seit ein paar Jahren berät, spricht von der indianischen Seelenwunde. Alkoholismus, Drogensucht, hohe Selbstmordraten: Vieles von dem, was die Urenkel der Ureinwohner plage, gehe auf das verdrängte historische Trauma zurück.

"Serra war ein Mann seiner Zeit", sagt dagegen Robert Senkewicz, Historiker an der Santa Clara University. So wie er dachte, dürften die Europäer damals zu 99 Prozent gedacht haben. Es wäre unfair gegenüber Serra, den Kontext der Zeit zu vergessen.

Bischof Francis Quinn sitzt in einem Altersheim in Sacramento: 94 Jahre, der Körper gebrechlich, der Geist hellwach. Quinn war der erste Geistliche von Rang, der Reue erkennen ließ. 2007 bat er die Miwok, die einst bei San Francisco wohnten, um Vergebung dafür, dass "im Namen des Katholizismus" ihre Zivilisation zerstört worden war. Er sei immer stolz gewesen auf Serra, sagt Quinn. Doch je mehr er erfahre, desto deutlicher müsse er sagen: "Er hat sich nicht der richtigen Mittel bedient." (Frank Herrmann aus Fresno, 20.9.2015)