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5,1 Prozent betrug die Arbeitslosenquote in den USA zuletzt. Das entspricht beinahe der Fed-Definition von Vollbeschäftigung. Gründe für eine Zinserhöhung sieht die Notenbank darin aber nicht.

Foto: Reuters/MIKE SEGAR

Washington/Wien – "America first", Amerika zuerst, hieß es Anfang 2014, als die Amerikanische Notenbank (Fed) trotz Turbulenzen in den Schwellenländern Indien, Südafrika und der Türkei die monatlichen Anleihekäufe zurückfuhr. Bisher war die Geldpolitik der Fed vor allem auf amerikanische Wirtschaftsindikatoren wie den Arbeitsmarkt abgestimmt. Das hat sich mit Donnerstag geändert: "Ein Großteil unserer Aufmerksamkeit lag auf Risiken rund um China und die Schwellenländer", begründete Fed-Gouverneurin Janet Yellen die Entscheidung, die Zinsen weiter auf null zu belassen – wo sie seit fast sieben Jahren liegen. Die Zinswende, die im Sommer bereits für sicher gegolten hatte, wurde damit erneut aufgeschoben.

Yellens neuer Politikstil

Mit Janet Yellen hat sich die Politik der Fed geändert: "Dass die Arbeitslosenquote der alleinige Zielindikator der Fed ist, hat sich als falsch herausgestellt", sagt Vladimir Gligorov, Ökonom am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche. Bei einer Arbeitslosenquote von 5,1 Prozent, nahe an der von der Fed definierten Vollbeschäftigungsquote, und dem unerwartet starken Wachstum im zweiten Quartal, hätte die Fed längst die Zinswende einleiten müssen. Zwar gilt: Einerseits hat die Arbeitslosenquote in den USA ähnlich stark von Rückgängen in der Erwerbsbevölkerung wie von neuen Arbeitsstellen profitiert. Andererseits hat die Teuerung sich schlechter entwickelt als von der Fed erhofft. Das lag hauptsächlich an den niedrigen Rohstoffpreisen und dem starken Dollar.

Die Konjunktur läuft gut, ist aber nicht unverletzlich: "Insgesamt steht die Wirtschaft nicht so gut da, dass sie Verwerfungen auf den Finanzmärkten völlig unbeschadet überstehen würde", sagt Gligorov. "Daher kommt das Zögern, auch wenn die Daten im Grunde gut sind – die Fed kann es sich nicht leisten, den Normalisierungspfad wieder zu verlassen, wenn er einmal eingeschlagen ist, darunter würde ihre Glaubwürdigkeit leiden." Ein zu langes Zögern kann der Glaubwürdigkeit aber genauso schaden. Bisher gab die Fed stets an, auf Autopilot zu manövrieren: Zinsschritte und Geldmengenerweiterungen waren an feste Arbeitsmarktzahlen und Inflationsraten gekoppelt. Inzwischen heißt es vonseiten der Fed nur noch, man würde die Politik auf die generelle Entwicklung von Arbeitsmarkt und Inflation abstimmen.

Neue Politik

Unter Analysten wächst die Vermutung, dass die Fed von einer vorausschauenden in eine mit der Wirtschaft gleichlaufenden Politik umschwenkt. "Wir haben es derzeit mit einem extrem risikoscheuen Fed-Komitee zu tun", sagt Rainer Singer, Analyst bei der Erste Group: "Die Voraussetzungen für die Zinswende sind schon länger gegeben, im letzten Moment werden aber immer wieder neue Gründe vorgeschoben." Dass nur noch Wochen vergehen dürften, bis die Zinswende tatsächlich eingeleitet wird, gilt unter den Experten dennoch als ausgemacht. Yellen selbst hat eingeräumt, dass die China-Turbulenzen und die niedrigen Rohstoffpreise nur kurzfristige Effekte auf die US-Wirtschaft haben dürften. Außerdem wollte Yellen eine Zinserhöhung in sechs Wochen oder im Dezember nicht ausschließen.

China, Brasilien und andere Schwellenländer begrüßen die Entscheidung der Fed. Dass diese jedoch mit den Ereignissen der vergangenen Wochen in China zu tun haben, glaubt Analyst Singer nicht: "Es gibt für die Fed eigentlich keine ökonomischen Gründe für einen erneuten Aufschub." (Aloysius Widmann, 19.9.2015)