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Ein Regenbogen über dem Regenwald des Amazonas in São Sebastião do Uatumã.

Foto: Reuters / Bruno Kelly

Margi Moss liefert wichtige Daten zum Verständnis der klimatischen Bedingungen im Amazonasbecken.

Foto: Gerard Moss

STANDARD: Was hat es mit den "fliegenden Flüssen" auf sich?

Moss: Mein Mann Gerard und ich wurden durch eine Konferenz des brasilianischen Klimaforschers Antonio Donato Nobre in Manaus auf das Thema aufmerksam und haben uns mit unserem Kleinflugzeug für Messungen zur Verfügung gestellt. Dadurch konnten wir nachweisen, dass Wassertropfen, die vom Atlantik kommen, über dem Amazonas abregnen, erneut verdampfen, entlang der Anden bis tief nach Südamerika wandern und dort Regen bringen. Dieses Phänomen hat Nobre "fliegende Flüsse" genannt.

STANDARD: Damit ist der Amazonas nicht nur ein wichtiger CO2-Schlucker, sondern hat klimatisch großen Einfluss auch auf weit entfernte Regionen?

Moss: Ja, aber das ist dem breiten Publikum völlig unbekannt. Ein zweiter Teil unserer Arbeit besteht deshalb in Workshops für Lehrer, um dieses Wissen zu verbreiten. Bislang haben wir 4000 Lehrer unterrichtet und insgesamt 600.000 Kinder erreicht.

STANDARD: Doch was nützt das Wissen, wenn die Abholzung weitergeht? Rund 700.000 Quadratkilometer Wald wurden seit den 70er-Jahren abgeholzt.

Moss: Im Amazonasbecken ist die Bevölkerung sehr interessiert und beunruhigt. Außerhalb fehlt es noch an Bewusstsein für die Problematik. Deshalb arbeiten wir mit Lehrern und Kindern in ganz Brasilien. Einige von ihnen sitzen vielleicht eines Tages in Schlüsselpositionen. Heute denken viele Brasilianer noch, dass ihre Ressourcen unendlich sind.

STANDARD: Das hat sich auch nicht durch die Dürre geändert, die seit mehr als einem Jahr die Industriemetropole São Paulo heimsucht?

Moss: Anfangs haben sich die Menschen für Umwelt- und Klimafragen mehr interessiert. Die Wasserpreise stiegen. Es gab den Ruf nach Wiederaufforstung. Aber wie so oft in Brasilien wurde das Problem schnell zum Geschäft. Die Regierung schlug vor, das Wasser durch Flussumleitungen von weither zu holen und entwarf entsprechende Megaprojekte. Das ist zwar nur eine kurzfristige und sehr teure Lösung, aber sie bringt Gewinn für Politiker und Firmen.

STANDARD: Sie haben die Megaprojekte erwähnt. Neben Flussumleitungen sind große Staudämme und Wasserstraßen am Amazonas in Bau oder geplant. Welche Folgen werden sie haben?

Moss: Sie sind eine ernste Bedrohung für den Regenwald, nicht nur wegen des Baus selbst, sondern wegen der vielen Menschen und Straßen, die sie mit sich bringen und die den Druck auf den Regenwald weiter erhöhen. Aber wenn man etwas gegen die Projekte sagt, wird man als Fortschrittverweigerer abgestempelt.

STANDARD: Was gäbe es denn für Alternativen?

Moss: Nehmen wir die Landwirtschaft. Viel Regenwald wird ja für Sojaplantagen und Rinderweiden abgeholzt. Das wäre nicht nötig. Im Süden besitzt Brasilien hunderttausende Hektar Land, das durch unsachgemäße Nutzung steril geworden ist. Wenn die Regierung den Leuten beibringen würde, wie sie dieses Land wieder fruchtbar machen, bräuchten sie nicht immer weiterziehen und neuen Wald fällen.

STANDARD: Brasiliens Entwicklungsmodell hängt am Wasser, 80 Prozent der Energie stammen aus der Wasserkraft, die Landwirtschaft braucht Bewässerung. Trotzdem verabschiedete der Kongress ein Gesetz, das den Schutz des Regenwaldes aufweicht und die Wasserspeicher gefährdet. Warum?

Moss: Weil die Regierung nur kurzfristig denkt, bis zur nächsten Wahl, und den Regenwald nicht für schützenswert hält, sondern für eine Ressource, die es auszubeuten gilt. Führt man die wichtige Rolle des Amazonas für das Weltklima an, entgegnen einem die Brasilianer, das sei ein Problem der anderen. Und die Europäer hätten ja auch ihre Wälder abgeholzt – was stimmt, aber natürlich nicht vergleichbar ist mit der Rolle, die Tropenwälder für das Weltklima spielen.

STANDARD: Das hört sich sehr pessimistisch an. Haben Sie die Hoffnung bereits aufgegeben?

Moss: Es gibt viele Umweltgruppen und Bürgerinitiativen, die versuchen, den Schaden zu begrenzen. Doch das sind einzelne Initiativen, ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber wir können nicht aufgeben, denn dafür steht zu viel auf dem Spiel. Ich war neulich im Norden São Paulos, an den Stauseen des Wasserreservoirs Cantereira, und sie haben weniger als zehn Prozent ihres Volumens. Das Wasser, das dort abgepumpt wird, hat eine miserable Qualität. Trotzdem gehen noch immer 30 Prozent des abgepumpten Wassers auf dem Weg zum Konsumenten verloren. Vielleicht bedarf es wirklich einer großen Katastrophe, damit endlich etwas geschieht. (24.9.2015)