Jeder reagiert auf Überforderung anders. Die Flüchtlingskrise bringt die Reife und Unreife von Staaten schonungslos zum Vorschein. Mazedonien ließ Panzer an die Grenze bringen, Serbien rühmte sich selbst, Ungarn reagierte mit Paranoia und Kroatien mit Arroganz. Letztere drei Staaten haben begonnen, sich wechselseitig zu beschimpfen. Die Beziehungen zwischen ihnen sind fragil, die Flüchtlingskrise forciert die Konflikte in der Region. Das ist gefährlich.

Kroatien wird von Serbien als Naziland beschimpft – in Anlehnung an die Ustascha im Zweiten Weltkrieg –, weil Kroatien die Grenzen zu Serbien dichtmachte, was aber ohnehin nicht funktionierte. Kroatien wiederum transportiert die Flüchtlinge nach Ungarn zurück, weil man zeigen will, dass man wegen des ungarischen Grenzzauns in die missliche Lage gebracht wurde – eine Revanche also. Ungarn will deshalb den Schengen-Beitritt von Kroatien verhindern und wirft zudem Serbien vor, dass die serbischen Sicherheitskräfte über die Angriffe von Flüchtlingen auf die Grenze "hinweggesehen" hätten.

Tatsächlich skandierten junge Männer, die am Mittwoch in Horgoš die ungarische Polizei attackierten, "Serbien, Serbien!", weil serbische Polizisten hinzugekommen waren und ein Stück weit mit ihnen liefen. Die Sprechchöre klangen wie eine Aufforderung zu einem Match "Serbien gegen Ungarn". Die serbische Polizei hielt die steinewerfenden jungen Männer, die die ungarischen Polizeikollegen brutal attackierten, nicht zurück, was nötig gewesen wäre – zur Prävention von Verletzungen und als politisches Signal.

Denn ein Teil der Menschen, die an die Grenze gekommen sind, sind gewaltbereite junge Männer, die rücksichtslos andere Flüchtlinge gefährden, sehr fordernd auftreten und zu allem bereit sind. Auch sicherheitspolitisch wäre es wichtig, dass diesen jungen Männern klargemacht wird, dass Gewalt nicht geduldet wird und es auch kein Anrecht darauf gibt, nach Deutschland zu reisen und gerade dort Asyl zu bekommen.

Das wiederum würde auch Ungarn und Kroatien wieder in die Verantwortung bringen. Denn diese EU-Staaten schieben Flüchtlinge Richtung Österreich und Deutschland mit dem Argument weiter, man dürfe diese nicht gegen ihren Willen aufhalten. Diese Regierungen tun das natürlich nicht, weil sie so menschenfreundlich sind, sondern weil sie die Flüchtlinge so schnell als möglich loswerden wollen und die langfristigen gesellschaftspolitischen Probleme, die das Thema mit sich bringt, vermeiden wollen.

Außerdem nutzen Serbien, Ungarn und Kroatien das Flüchtlingsthema für innenpolitische Zwecke, denn es kommt bei manchen ihrer Landsleute auch gut an, wenn man mit Grenzschließungen oder Weiterschieben die ungeliebten Nachbarn ärgern kann. Dazu kommt, dass viele Südosteuropäer ganz ähnliche Wünsche haben wie die Iraker oder Afghanen, die jetzt durch den Balkan reisen. Sie wollen nämlich auch nach Deutschland und sehen die Menschen aus Nahost als Konkurrenz. Sie fühlen sich ungerechterweise in Europa zu kurz gekommen.

Die Haltung den Flüchtlingen gegenüber ist auf dem Balkan ganz anders als in Österreich. Dennoch: Wenn man eine Lösung will, muss die EU auch Serbien, Mazedonien und die Türkei einbeziehen und ein Regelwerk finden, an das sich alle halten. Sonst gefährdet die Überforderung durch die Flüchtlingskrise die Stabilität in Südosteuropa. (Adelheid Wölfl, 20.9.2015)