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Im Siegestaumel: Alexis Tsipras gewinnt nochmals eine Mehrheit für sein linkes Parteienbündnis Syriza und wird von Anhängern gefeiert.

Foto: AP Photo/Lefteris Pitarakis

Konstantinos weiß genau, was hier läuft. Sinnlos seien diese Wahlen, sagt der 46-jährige Grieche. Alle müssten sowieso tun, was das Kreditabkommen vorschreibt. Trotzdem kommt er und setzt sein Kreuz auf einen Stimmzettel, weil so viele andere wählen, "die kein Gehirn haben"; die nicht kapieren, wie El Niño, die Pazifikströmung, und die kommende Minieiszeit oben in Europa und das Spardiktat der Deutschen zusammenhängen. "Wenn sie uns mit 300 Milliarden Euro verschulden, dann kriegen sie das ganze Gas, das im Mittelmeer zwischen Griechenland und Ägypten liegt", erklärt Konstantinos mit vollem Ernst. Das sei eben der Überlebensplan der Deutschen.

Eine kleine Partei, die griechisch sei und nie regieren werde, habe er gewählt, sagt Konstantinos. Es ist die Umschreibung für Chrysi Avgi, die Faschistenpartei Goldene Morgenröte, die einmal mehr als stabile Kraft aus diesen Wahlen der Verbitterung und der Enttäuschung in Griechenland hervorgeht. Sieben Prozent zeigten die Hochrechnungen am Sonntagabend. Die Goldene Morgenröte ist wieder die – relativ gesehen – drittstärkste Parlamentspartei vor den Konservativen und der linken Syriza von Alexis Tsipras. Dem aber gelingt der Coup mit der vorgezogenen Parlamentswahl: Die Griechen geben Tsipras eine zweite Chance, zu regieren.

Trotz Bruchs der Wahlversprechen und spektakulärer Kehrtwende landet Syriza deutlich vor der konservativen Nea Dimokratia. 35 Prozent, fast so viel wie beim Wahlsieg im Jänner, werden am Abend für das linksgerichtete Parteienbündnis errechnet, das mit dem Sparregime der Gläubiger Schluss machen wollte und dann den Griechen nur ein weiteres Kreditabkommen mit harten Vorgaben bescherte. Die konservative Nea Dimokratia kommt mit rund 28 Prozent nur auf Platz zwei.

Die Koalitionsfrage

Tsipras braucht jetzt Koalitionspartner. So wollten es die Wähler. In drei Tagen stünde die neue Regierung, sagt ein führender Syriza-Politiker am Abend. Doch die möglichen Partner – die Sozialdemokraten der Pasok und vor allem die Liberalen der Bürgerbewegung To Potami (Der Fluss) – wird Tsipras erst von seinem Reformwillen überzeugen müssen. Der ehemalige Bündnispartner, die rechtspopulistische Kleinpartei Anel, ist für Tsipras unbequem geworden. Er braucht eine breite Mehrheit für das Kreditprogramm.

Denn die Stimmung im Land ist trüb. Am Morgen um acht tröpfeln die ersten Wähler in der Schule in Neos Kosmos ein, einem Stadtteil südlich der Athener Innenstadt, wo einst die griechischen Flüchtlinge aus Kleinasien nach dem Ersten Weltkrieg ihr neues Leben begonnen hatten. Arbeiter und die untere Mittelschicht leben hier bis heute. Nein, wichtig seien diese Wahlen nicht, sagt Evthimis Katraouras, ein junger Elektriker. Auch er verweist auf das Kreditabkommen, das Tsipras abgeschlossen hat. Die neuen 86 Milliarden Euro, die Griechenland von seinen Gläubigern erhält, wenn es einen Katalog von weiteren Sparmaßnahmen und Reformen umsetzt. "Ich kann mir gut vorstellen, dass wir jetzt eine große Koalition aus Syriza und Nea Dimokratia bekommen", sagt der 27-Jährige. 600 Euro verdient er im Monat und lebt noch bei seinen Eltern. Anders geht es nicht. Katraouras hat dieses Mal die Kommunisten gewählt, die letzten erklärten Sparkursgegner.

Oder nahezu die letzten: Die Dissidenten von Syriza sind auch angetreten. Panayiotis Lafazanis, Tsipras' früherer Energie- und Umweltminister, Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis und die lautstarke Parlamentspräsidentin Zoe Konstantopoulou trugen die Kehrtwende von Tsipras nicht mit. Sie pochten auf die 62 Prozent, die bei einem Referendum in den chaotischen Sommerwochen Nein zu den Gläubigern sagten. Tsipras war plötzlich ohne Regierungsmehrheit. Deshalb mussten die Griechen nun zum dritten Mal in diesem Jahr an die Urnen.

Varoufakis macht bei der neuen Dissidentenpartei Volkseinheit nicht mit, aus Rücksicht auf seinen Freund Tsipras. Die Volkseinheit aber bangt am Abend um ihren Einzug ins Parlament. Zoe Konstantopoulou drohte: "Die neuen Generationen, die wissen, wer sie verraten hat, werden es in die Hand nehmen, die Demokratie in unserem Land wiederherzustellen." Vor dem Wahlbüro in Neos Kosmos steht zufällig eine Namensvetterin. Konstantina Konstantopoulou stammt aus demselben Dorf wie die Ex-Parlamentspräsidentin. "Ich bin nicht enttäuscht von Tsipras", sagt die 23-Jährige. "Die Verhandlungen mit den Gläubigern mussten geführt werden. Und das Kreditabkommen wird funktionieren." (Markus Bernath aus Athen, 21.9.2015)