
Schlimmer als die Konflikte in der Welt sind nur die Berichte, die wir von dort kriegen: Der österreichische Beitrag zum Filmfestival Toronto, Barbara Eders episodischer Spielfilm "Thank You for Bombing" über Kriegsberichterstatter in Afghanistan, erweist sich als moralisierend zugespitzte Revue.
Alle wollen nach Europa. Diesen Eindruck könnte man derzeit gewinnen. Selbst beim wichtigsten nordamerikanischen Filmfestival in Toronto gab es dafür eine Bestätigung, allerdings von unerwarteter Seite: Michael Moore steht, jedenfalls wenn man nach seinem neuen Film Where to Invade Next? geht, knapp vor einem Asylantrag in Finnland oder Italien.
Populistische Exkursion
Der politische Dokumentarist widmete seine neue Arbeit nämlich der Suche nach dem besten politischen System, und siehe da, er wurde fündig in ebenjener Alten Welt, die noch vor einiger Zeit als marode Bastion unfinanzierbarer Sozialsysteme gegolten hatte.
Moore besucht eine Schulausspeisung in Frankreich, und er lässt sich im Fränkischen von den Vorzügen der deutschen Sozialpartnerschaft überzeugen (nach der Bleistiftherstellung ist noch ausreichend Zeit für ein Bierchen am Feierabend).
Die populistische Exkursion des bekanntesten amerikanischen Agitators gegen die neoliberale Zerstörung des Gemeinsinns konnte bei der 40. Ausgabe des Toronto International Filmfestivals (TIFF) als Indiz gelten: Where to Invade Next? sucht nach einer Neuordnung der Welt nach dem Rückzug des amerikanischen Hegemons auf die Position einer durch Drohnen abgesicherten, introvertierten Hypermacht.
Ein Filmfestival macht ja im Grunde selber das Gegenteil von dem, was Netflix und Amazon von uns wollen, nämlich es mit der Welt daheim vor dem Schirm bewenden zu lassen. Und so passte Moore mit seiner gespannt erwarteten Weltpremiere sehr gut zu diesem Festival, das im Jubiläumsjahr kommerziell mehr denn je brummte, das aber auch unwiderstehliche Erfahrungen von Vielfalt machen ließ.
Denn man muss in dieser gar nicht mehr multikulturellen, sondern einfach die Realitäten der Globalität lebenden Stadt nur einmal in einer Schlange für einen Film anstehen, um zu ermessen, wie Gesellschaften der Zukunft aussehen könnten – und welche Rolle des Kino darin immer noch spielen könnte, als das Medium der "family of man", das sich als Gegenmacht zu Bildern "on demand" neu aufrichten könnte.
Konkret ist es dann natürlich mal so, mal so. Mit Toronto findet die Festivalsaison ihren Ausklang, die Höhepunkte aus Berlin, Cannes, Locarno und Venedig laufen hier, dazu eine Auswahl von amerikanischen Oscar-Aspiranten und Entdeckungen, mit denen das TIFF sich selbst auch kuratorisches Profil zu verleihen versucht.
Resteverwertung
Roland Emmerichs Stonewall fällt in die mittlere Kategorie, der deutsche Blockbuster-Regisseur widmet sich hier einer persönlich inspirierten Geschichte aus einem ganz anderen Fach und erzählt die Geschichte der Stonewall Riots neu, eines Schlüsselereignisses für die schwul-lesbische oder LGBT-Emanzipation. Der Film ist konventionell und manchmal auch sentimental; dass Emmerich sich aber auf diese Weise exponiert, ist mutig, auch wenn er aus seiner Homosexualität schon längere Zeit kein Geheimnis mehr macht.
Im 40. Jubiläumsjahr hat man in Toronto nun auch einen kleinen Wettbewerb installiert, in dem der Dokumentarfilm Hurt von Alan Zweig gewonnen hat. Weltpremieren fallen ansonsten öfters ein wenig unter die Kategorie Resteverwertung. Was hier exklusiv auftaucht, hat für Cannes oder Venedig nicht genügt.
Gleichwohl gibt es da auch noch großartige Entdeckungen zu machen wie Federico Veirojs El Apóstata aus Uruguay, eine Komödie um einen Mann, der aus der Kirche austreten möchte, was sich als absurd schwierig erweist.
Der österreichische Beitrag jedoch muss hingegen als Enttäuschung gelten: Barbara Eders Thank You for Bombing erwuchs aus einer dokumentarische Recherche über Kriegsberichterstatter in Afghanistan, erweist sich nun aber in der Form eines episodischen Spielfilms als moralisierend zugespitzte Revue, mit der sich vor allem eines bestätigen sollte: Schlimmer als die Konflikte in der Welt sind nur die Berichte, die wir von dort kriegen.
Da findet sogar Michael Moore als moderner Einfaltspinsel noch mehr über die Welt heraus als das, was Barbara Eder uns von hinter den Kulissen sehen lässt. (Bert Rebhandl, 21.9.2015)