Kiew – Die ukrainische Regierung, die seit dem Herbst letzten Jahres mit zahlreichen Wirtschaftsexperten besetzt ist, ist sich einig: "Wir brauchen Wachstum", sagten die Notenbank-Chefin, der Wirtschaftsminister und der erste stellvertretende Finanzminister. Und: Das Hauptthema sei die Korruptionsbekämpfung.
Nach monatelangem Ringen haben westliche Gläubiger erst im August der von einer Pleite bedrohten Ukraine bis zu 3,8 Milliarden Dollar (3,33 Milliarden Euro) Schulden erlassen.
Der österreichische Handelsdelegierte in der Ukraine, Hermann Ortner, betonte bei einer Pressereise der Uniqa-Versicherung vor österreichischen Journalisten: Solange in der Ukraine keine Rechtssicherheit bestehe, solange werde es kein Wachstum geben. Man müsse ausländische Investoren davon überzeugen, dass man in der Ukraine Geld verdienen kann. Derzeit sei das Investitionsinteresse allerdings gleich null, so Ortner. Seit Jänner habe die Landeswährung 40 Prozent an Wert verloren. Es sei ein großer, interessanter Markt, allerdings brauche man einen langen Atem, berichtete Ortner. Die Ukraine brauche Hilfe von außen.
Schulden
Die Regierungsvertreter hoffen, dass es mittelfristig besser wird, zumal Geld vom Internationalen Währungsfonds und der Weltbank kommt. Derzeit schuldet die Ukraine ihren Gläubigern insgesamt etwa 45,25 Milliarden Dollar. Auf Kreditgeber aus dem Ausland entfällt davon etwa die Hälfte. Sie liehen dem Staat knapp 20 Milliarden Dollar und Staatsunternehmen knapp 3,5 Milliarden Dollar. Ein Teil der ukrainische Anleihen ist im Besitz russischer Investoren.
Österreich ist in der Ukraine der fünftgrößte Investor. Als interessante Branchen nannte Ortner die Agrarwirtschaft und die Energie. Die Energieeffizienz sei katastrophal, hier gebe es viel Nachholbedarf. Viele Heizkörper hätten keinen Regulator, die Energie verpuffe, viele Gebäude hätten keine Isolierung. Es habe über viele Jahre billiges Gas aus Russland gegeben, und die Motivation zu modernisieren sei nicht vorhanden gewesen.
Etwa 20 österreichische Firmen sind in der Ukraine tätig, unter anderem Agrana, Mayr-Melnhof, Schwechater Kabelwerke, Fischer Ski, Raiffeisen. Sie alle produzieren vornehmlich für den ukrainischen Markt. Die Uniqa-Versicherung ist seit 2006 in der Ukraine vertreten: mit einer Sach- und Lebensversicherung. Neue Investments gebe es allerdings kaum, so Ortner. Die Nationalbank habe Kapitalverkehrskontrollen erlassen, Dividenden müssten im Land bleiben.
Heimische Anwälte
Die Ukraine ist ein Land mit 40 Mio. Einwohnern, wirtschaftlich allerdings auf dem Niveau der Dritten Welt. Heimische Investoren – Ortner: "Ein Unternehmer glaubt niemandem so viel wie einem anderen Unternehmer" – haben den Vorteil, dass es österreichische Anwaltskanzleien und Steuerberater vor Ort gibt.
Die ukrainische Wirtschaft wird Prognosen zufolge heuer um zehn Prozent schrumpfen – zum Teil, weil wichtige Industriegebiete in den von den prorussischen Rebellen kontrollierten östlichen Regionen liegen. Neben dem blutigen Konflikt mit den Aufständischen zwang auch eine drastische Währungsabwertung das Land finanziell in die Knie.
Wirtschaftsminister Aivaras Abromavicius war vor seiner Bestellung internationaler Investmentbanker. "Ich glaube, es gibt nicht wenige, die hier fast kostenlos arbeiten", sagt er, und sein Ziel sei es, dass die Mitarbeiter im Ministerium mehr verdienen. Er habe seit seinem Amtsantritt 30 Prozent der Mitarbeiter gekündigt, und 90 Prozent des Managements seien neu. Ein Ausflug in die Vergangenheit: Um einen Gesprächstermin beim Minister zu bekommen, seien früher zwischen 3000 und 5000 Dollar bezahlt worden – je nachdem, was einer wollte. Abromavicius führt aus, dass die Ukraine sehr große Landreserven habe, und darin liege auch das Potenzial.
Öffentliche Aufträge
Der Erste Stellvertretende Bürgermeister Kiews, Aleksey Reznikov, bis vor seiner Bestellung erfolgreicher Rechtsanwalt, sagt, man habe zunächst die öffentliche Beschaffung auf online umgestellt, um Korruption zu vermeiden. Zudem habe bisher niemand Überblick über die Immobilien der Stadt gehabt. Die, die diese verwalteten, hatten dies wohl im eigenen Interesse getan. Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko und sein Team arbeiteten ehrenamtlich, "uns kann man nicht kaufen, unser Ruf ist uns wichtig" sagt Reznikov. Er bekomme umgerechnet 200 Euro im Monat. Beim Amtsantritt gab er seine Steuererklärung ab, wonach er als Anwalt pro Jahr eine Mio. Dollar verdient hatte.
Angesichts der tiefgreifenden Wirtschaftskrise will die Regierung der Ukraine knapp 350 Staatsunternehmen verkaufen. Zu den Unternehmen, die privatisiert werden sollen, gehören auch Kraftwerke und Energieversorger sowie der Hafen von Odessa. (Claudia Ruff, 21.9.2015)