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Die Regierung von Premier Orbán riegelt das Land ab: An der ungarisch-kroatischen Grenze entsteht ebenfalls ein Grenzzaun mit Nato-Stacheldraht.

Foto: REUTERS/Bernadett Szabo

Mehr als 150.000 Menschen sind in den ersten acht Monaten dieses Jahres laut EU-Grenzschutzagentur Frontex illegal nach Ungarn eingereist. Um eine geschlossene Antwort auf die aktuelle Flüchtlingskrise zu finden, spielt Ungarn daher in den Überlegungen der EU-Kommission seit einigen Wochen eine zentrale Rolle.

Deshalb schlug Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker vor, nicht nur Asylwerber aus Italien und Griechenland auf andere EU-Staaten aufzuteilen, sondern auch Ungarn in den Plan einzubinden. 120.000 Flüchtlinge sollen aus den drei Staaten in 22 andere Unionsländer umgesiedelt werden – Großbritannien, Dänemark und Irland müssen sich ja wegen einer Ausnahme in ihren EU-Verträgen nicht beteiligen.

Allein 54.000 Flüchtlinge sollten dabei aus Ungarn kommen. Die EU-Kommission wollte damit Ordnung auf der Balkanroute schaffen und die Bundesrepublik entlasten. Zehntausende Flüchtlinge sind zuletzt via Griechenland, Mazedonien, Serbien und Ungarn bis nach Österreich und Deutschland gekommen.

Plan B ohne Ungarn

Die Regierung von Premier Viktor Orbán wehrt sich allerdings heftig gegen die EU-Pläne. Die Aufteilung ist das falsche Signal an die Welt, weil noch viel mehr "Migranten" kommen würden, sagt Orbán. In Brüssel wird deshalb an einem Plan B ohne Ungarn gearbeitet. Am Dienstag kommen die EU-Innenminister in die belgische Hauptstadt, um über die Flüchtlinge zu verhandeln. In der vergangenen Woche konnten sich die Minister nicht auf einen Aufteilungsplan einigen. Ein neuer Vorschlag sieht vor, Ungarn durch andere Länder zu ersetzen: Eine Sprecherin der Kommission sprach am Montag von Kroatien, Slowenien und Österreich als Kandidaten. Die 54.000 Flüchtlinge aus Ungarn würden dann in diese drei Länder umverteilt.

Die Lösung hätte mehrere Vorteile, so EU-Diplomaten. Der ungarische Widerstand wäre umgangen. Zugleich könnte die EU aber, wie von Juncker gewünscht, 120.000 Menschen umverteilen und müsste nicht auf eine niedrigere Zahl zurückgreifen, was als Eingeständnis der Zerstrittenheit gewertet werden würde.

Im Innenministerium bestätigt man die Überlegungen in Brüssel als eine Option. Möglich wäre auch eine flexible Lösung, ohne dass ein anderer Staat den Platz Ungarns einnimmt. EU-Länder, in die viele Asylwerber in kurzer Zeit kommen, könnten einen Notmechanismus bei Bedarf aktivieren.

Registrierung Pflicht

Der Verteilungsplan hat aus Sicht der Staaten, die Flüchtlinge abgeben, nicht nur Vorteile. Denn vorgeschrieben ist, dass nur registrierte Asylwerber in andere Länder gebracht werden können, wo ihre Verfahren dann stattfinden. Derzeit werden viele der Neuankömmlinge auch in Österreich in Richtung Deutschland durchgewinkt. Italien und Griechenland befürworten das System. Auch Rom und Athen waren aber lange skeptisch: Die EU will die Verteilung über Hotspots, also zentrale Sammel- und Versorgungslager, organisieren. Die EU-Agentur Frontex soll in diesen Hotspots aushelfen. Italien und Griechenland fürchteten deshalb, dass man sich über die Umwege der Hotspots in ihre staatliche Souveränität einmischt.

Die luxemburgische Ratspräsidentschaft versucht aktuell mit weiteren Angeboten die übrigen Staaten in Osteuropa mit ins Boot zu holen, die sich bisher quergelegt haben. Neben Ungarn haben auch die Slowakei, Tschechien und Polen Bedenken. So soll der Verteilungsmechanismus auf Freiwilligkeit basieren. Was ist gemeint? Ursprünglich sollten die Asylwerber mit einem Quotensystem verteilt werden. Wirtschaftskraft, Einwohnerzahl und die Zahl der bisheriger Asylanträge sollten darüber entscheiden, wie viele Flüchtlinge jedes EU-Land aufnehmen muss. Laut Quote hätte Österreich 3640 Asylwerber empfangen sollen, Deutschland sollte 31.000 Menschen aufnehmen.

Nun soll es nur "freiwillige" Zusagen der EU-Länder geben. Diese sollen "zufällig" 120.000 ergeben. Das wäre eine gesichtswahrende Lösung, die es den Regierungen in Prag und Warschau ermöglichen soll, einem Kompromiss doch noch zuzustimmen.

Verhandelt wird auch über eine Hintertüroption: Die Kommission wollte, dass Länder, die keine Flüchtlinge aufnehmen, eine Ersatzzahlung leisten. Nun könnt es eine sechsmonatige Periode geben, in der Staaten weder Asylwerber nehmen noch zahlen müssen. Möglich ist auch ein Mischsystem, in dem Länder, die weniger Asylwerber nehmen wollen, etwas dazuzahlen.

6500 Euro Strafzahlung

Im Gespräch sind aber auch Strafzahlungen: Wer sich dagegen sperrt, Flüchtlinge nach einem Verteilungsschlüssel aufzunehmen, bei dem könnten laut Entwurf einmalig 6.500 Euro für jeden verweigerten Flüchtling fällig werden. Diese Ausnahmeregelung könnte zunächst auf sechs Monate begrenzt werden.

Lettland bringt beim Gipfel einen anderen Vorschlag ein: Zur besseren Sicherung der EU-Außengrenze sollten entlang einiger Abschnitte der Grenze zu Russland und Weißrussland ein Zaun errichtet und Überwachungsanlagen installiert werden. (András Szigetvari aus Brüssel, 22.9.2015)