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Überraschende Wahlnacht in Athen:_Koalitionspartner Tsipras (li.) und Kammenos zeigten sich gemeinsam.

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Manche Zeitungen riefen am Montag die "Ära Tsipras" aus.

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Panos Kammenos nennt sie die "bezahlten Killer". Er ist kein Mann der abwägenden Worte. Griechenlands Meinungsforscher hatten ihn abgeschrieben, den stark übergewichtigen 50-jährigen Chef der Unabhängigen Griechen und Exverteidigungsminister. Keine der Umfragen sah ihn und seine Partei mehr im Parlament. Doch Sonntagnacht ist alles anders.

Kammenos steht auf der Bühne auf dem Klafthmonos-Platz im Zentrum von Athen. Der Rechtspopulist bei Alexis Tsipras, dem wiederauferstandenen Star der Linken. Es ist der Moment der Genugtuung. "Wir sind die Garanten des nächsten Tages", sagt Kammenos über seine Kleinpartei. Er ist wieder der Mehrheitsbeschaffer, der Schlüssel für die zweite Regierung von Alexis Tsipras.

Auch dessen großen Sieg haben die Wahlforscher nicht kommen sehen: 35,46 Prozent für Syriza, gerade einmal ein Prozent weniger als bei den Parlamentswahlen im Jänner. Und das nach der turbulentesten Zeit, an die sich die Griechen in den letzten 40 Jahren erinnern können: Bankenschließungen, Ultimaten aus Brüssel und Berlin, der Hinauswurf aus Europa als reale Möglichkeit. "Das griechische Volk hat ein klares Mandat erteilt: uns von dem zu befreien, was uns in der Vergangenheit gefangen genommen hat", ruft Tsipras in der Wahlnacht in die Menge. Vor einem halben Jahr noch war er konkreter. Da ging es um die Befreiung von der Troika, Griechenlands Geldgeber von EU, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds.

Rasche Angelobung

Am Montagabend schon hatte Tsipras seinen Termin beim Staatspräsidenten. Zum zweiten Mal wurde er als Regierungschef angelobt. Seit Kostas Simitis im Jahr 2000 ist keinem griechischen Premier die Wiederwahl geglückt. Aber Tsipras’ erste Amtszeit war auch kurz: sieben Monate und eine enorme Kehrtwende mit der Annahme eines neuen Rettungskredits der Gläubiger.

Den Katalog an Bedingungen für die Milliardenhilfe muss die nächste Regierung nun abarbeiten. Bereits am heutigen Dienstag will Tsipras sein neues Kabinett vorstellen. Ein eigener Ministerposten für die Umsetzung der Reformvorgaben könnte geschaffen werden, heißt es in Athen.

Noch in der Wahlnacht kündigte Tsipras die Fortsetzung der Koalition mit Kammenos an. Gut möglich, dass er selbst von der Höhe des Wahlsiegs überrascht war. "Tsipras hatte vor der Wahl diese Koalition angekündigt, aber es vielleicht nicht ernst gemeint. Jetzt konnte er nicht anders. Er hat sich in eine Sackgasse manövriert", glaubt Vassiliki Georgiadou, eine Politologieprofessorin an der Universität von Athen.

In der griechischen Hauptstadt, aber auch in Brüssel ging man von einem anderen Regierungsbündnis nach den Wahlen aus. Einer großen Koalition zwischen Syriza und der konservativen Nea Dimokratia; oder aber einem Bündnis mit den Sozialdemokraten von Pasok und den Liberalen der Partei To Potami. Sie alle hatten im Parlament für das Kreditabkommen gestimmt.

Statt eines breiten Regierungsbündnisses zur Umsetzung der Spar- und Reformvorhaben wird es nun eine Koalition geben, die nur eine Mehrheit von fünf Sitzen hat. Die Hälfte der Wähler habe sich in Umfragen für eine große Koalition ausgesprochen, erinnert Georgiadou.

Konservative abgeschlagen

Aber auf Griechenlands Demoskopen will im Moment niemand mehr etwas geben. Sie hatten wochenlang über ein Kopf-an-Kopf-Rennen von Syriza und Nea Dimokratia bei den Wählern berichtet, manche gar über einen leichten Vorteil der Konservativen.

Vorn lag die Nea Dimokratia nun nur in Nordgriechenland, auf der Flüchtlingsinsel Chios und auf der Südhälfte des Peloponnes. Ihr neuer Vorsitzender Evangelis Meimarakis konnte für die Partei nur ein Prozent dazugewinnen.

Mit knapp sieben Prozent wurden die Faschisten Chrysi Avgi, der Goldenen Morgenröte, erneut drittstärkste Kraft im Parlament. Sie erhielten vor allem in der Großregion Attika Zulauf; mehr als 15 Prozent wählten in der kleinen Industriestadt Aspropyrgos westlich von Athen die Partei.

Wahlregister veraltet

Zweifel gab es am Montag über die angeblich niedrigste Wahl beteiligung in Griechenland seit dem Sturz der Junta 1974. Nur 56 Prozent hätten sich an diesen vorgezogenen Parlamentswahlen beteiligt. Offiziell soll die Zahl der Wahlberechtigten 9,8 Millionen betragen. Doch Griechenlands Einwohnerzahl lag 2012 bei 10,8 Millionen. Der Schluss liegt nahe, so merkten Kommentatoren an, dass das Wahlregister einfach nicht aktuell ist und die Namen vieler mittlerweile verstorbener oder ausgewanderter Wähler enthält. Die Wahlen waren notwendig geworden, weil Tsipras die Mehrheit in seiner eigenen Partei verloren hatte. (Markus Bernath aus Athen, 21.9.2015)