Alexis Tsipras war kein Versehen. Der zweite spektakuläre Wahlsieg des Linkspolitikers zeigt: Die Griechen haben ein neues Kapitel aufgeschlagen. Sie wollen nicht mehr ihre alten Politiker. Denen fiel nie ein, Verantwortung für die Zerrüttung des griechischen Staates zu übernehmen. Die Griechen wollen aber auch nicht länger von den Euroländern und den Gläubigern bevormundet werden. Tsipras ist in Brüssel vorgeführt worden, er hat sein Wahlversprechen vom Ende des "Spardiktats" gebrochen, aber er steht immer noch. Er ist der Trotz der Griechen.

Doch sein Sieg ist mit vielen Problemen befrachtet – angefangen bei Tsipras selbst. Der griechische Premier muss einen Reformkatalog abarbeiten, den die Geldgeber aufsetzten. Er soll Griechenlands Verwaltung "modernisieren", sprich: auch Stellen kürzen. Er soll die Staatsfinanzen mittelfristig auf ein Plus von 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung bringen. Er soll überhaupt die Wirtschaft wettbewerbsfähig machen und den Markt liberalisieren. Alexis Tsipras mag sich weiter verbiegen, aber er ist nicht der Mann für radikale Wirtschaftsreformen. Das Kreditabkommen wird Stückwerk bleiben – wie bisher schon.

Der nächste Konflikt mit den Gläubigern kommt. Er ist angelegt in diesem Wahlsieg, der "den Arbeiterklassen gehört", wie Alexis Tsipras erklärte. In ein paar Monaten, vielleicht in einem Jahr wird Griechenland wieder mit der Eurogruppe streiten, bis Land und Regierung wanken.

Griechenlands Geldgeber hätten gern eine andere Koalition gesehen. Eine "proeuropäische", gebildet aus Parteien, die im Parlament in Athen im vergangenen Juli das neue Kreditabkommen und die ersten Spargesetze getragen haben. Tsipras aber ging den einfachen Weg – wie schon im Jänner, nach dem ersten Wahlsieg. Die Populisten von links machen einen Handel mit den Populisten von rechts. Fünf Stimmen Mehrheit im neuen Parlament sind knapp bemessen für die Aufgaben, die Tsipras vor sich hat. Doch der kleine Koalitionspartner ist so folgsam und diskret, dass der linke Premier in Wahrheit allein regieren kann.

Die Herausforderung des Alexis Tsipras liegt anderswo. Nicht im Abhaken der Spar- und Reformliste aus Brüssel, sondern im Ausbalancieren mit Reformen der Gerechtigkeit. Wenn Tsipras politisch überleben will, muss er Staat und Gesellschaft in Griechenland auf den Kopf stellen: die praktische Straflosigkeit für Schmiergeldkassierer von früher beenden, für Besitzer von Schwarzgeldkonten, für Kartellabsprachen im Handel. Er müsste den Nepotismus im Arbeitsleben auszurotten helfen, der verhindert, dass nur vorwärtskommt, wer es verdient und sich qualifiziert.

Tsipras kennt die griechischen Krankheiten. Er stammt aus der wütenden Jugend der griechischen Linken, die sich gegen die Unfairness auflehnt, nicht aus der klassischen Linken von früher, die gegen das Militär gekämpft hat.

Nur wenige dieser Rechts- und Gesellschaftsthemen haben Tsipras und seine Minister in ihrer kurzen ersten Amtszeit in Angriff genommen. Vieles blieb Rhetorik, die Finanzverhandlungen mit den Gläubigern haben die meiste Energie verbraucht.

Alexis Tsipras ist heute in einer vorteilhaften Lage. Er ist der erste Premier seit Beginn der Schuldenkrise, der nicht einer massiven Protestbewegung auf der Straße gegenübersteht. Die Chance für Reformen hätte er.

(Markus Bernath, 22.9.2015)